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Ali

von Victor

Michael Mann-Retrospektive #8

Float like a butterfly, sting like a bee -…

Biopics, ein schwieriges Terrain. Marcel Reich-Ranicki meinte in einer Folge seines legendären Literarischen Quartetts, dass für einen großen Roman letztlich vor allem Mitleid nötig sei. Ohne Mitleid, ohne Empathie mit den Figuren eines Werks, so Reich-Ranicki, wäre große Literatur gar nicht möglich. Das mag moralisierend klingen, das macht es aber nicht weniger wahr – eine Wahrheit, die auch auf den Biopic-Film zutrifft. Und so war ich vor der Sichtung von Manns Beitrag zum Genre – und dann auch noch über einen der größten Athleten des letzten Jahrhunderts – nicht ganz frei von Skepsis, changieren seine Filme doch paradox auf einem schmalen Grad zwischen Kälte und aus dieser resultierender Intensität.

Und wieder braucht Michael Mann nur die ersten paar Szenen, die ersten wieder so unglaublich musikalischen und reichhaltigen Minuten, um jeglichen Zweifel fortzufegen. Es ist einer jener Filme, die einen Regisseur zum Olympier seiner Kunst machen. „Ali“ wird bleiben, vielleicht sogar länger als „Heat“. Da sind sie wieder, diese Bilder von so immenser Spontaneität, Intimität, die anfangs ungewöhnlich wirkt ob der detaillierten Ausstattung, für die sich Mann nicht zu interessieren scheint; mit der sich verschiebenden Schärfe einer von jeglicher Studiostarrheit befreiten Kamera wird die Epochenstaffage ignoriert, wobei gerade durch dieses Nicht-Interesse am Historischen eine Brücke zur Vergangenheit geschlagen wird und wir einen Einblick in ein menschliches Leben erhalten, wie es selten geschieht. Wir verfolgen Muhammad Ali in den Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhms, seiner Ikonogenese: Von seiner ersten Schwergewichts-Weltmeisterschaft über die  Krise infolge seiner Kriegsdienstverweigerung bis hin zu seinem legendären, die ungeschriebenen Regeln des Boxsports („They never come back“) sprengenden Kampf gegen George Foreman im „Rumble in the Jungle“.

The hands can’t hit what the eyes can’t see.

Im Zentrum eben dieser Bilder, durch einen meisterhaften Schnitt verbunden, steht Will Smith, dessen oft verletzliche Darstellung (die traurig stimmt; sie erinnert an Zeiten, in denen Smith als ernstzunehmender Schauspieler noch zu Transzendenz fähig war) hilft, den oftmals wortgewaltig-einschüchternd auftretenden Muhammad Ali für eine asymptotische Annäherung durch das Medium Film greifbar zu machen, lässt uns Einblick erlangen in die Freunde, Frauen, Gefühle und (Box-)Kämpfe seines Lebens, wobei Mann und Smith in vielen Momenten den Mut zur respektvollen, eben empathischen Leerstelle beweisen. Bild für Bild entsteht das Portrait eines Menschenlebens und ganz nebenbei das Panorama einer Epoche; Manns größtes Verdienst besteht in „Ali“ darin, die Bedeutung der Figur des Muhammad Ali für Millionen von Menschen in ihrem Streben nach Unabhängigkeit, Gleichheit und Freiheit aufgezeigt zu haben. Sicher ist „Ali“ auch das Portrait eines Mannes, der immer der Größte sein wollte und es auch geworden ist, vor allem ist er aber eine Verneigung vor einem Menschen, dessen Willensstärke zur Metapher geworden ist für eine ganze historische Bewegung. Und genau das macht „Ali“ zu einem in vielen Szenen bewegenden Film.

Gegen Ende, kurz vor dem „Rumble in the Jungle“, joggt Ali morgens durch ein Armutsviertel in Kinshasa. Er, aufgrund seines Engagements in der Bürgerrechtsbewegung und seiner offenen Kriegsdienstverweigerung bei der schwarzen Bevölkerung schon jetzt eine Ikone, sammelt eine immer größere Menschentraube um sich, die mit ihm mitläuft und ihn anfeuert: „Ali Bumaye!“ Immer deutlicher mischt sich der – durch und durch großartige – Weltmusiksoundtrack unter die Rufe, die Sonne gewinnt mehr und mehr an Kraft. Überwältigt wird Ali langsamer, kommt irgendwann zum stehen, vor einer Wand voller Graffiti, in denen Ali sämtliche Dinge hinwegfegt, die wie Seuchen auf dem afrikanischen Kontinent wüten: Hunger, Krieg, Tod. Und dann spürt er – spüren wir -, dass er nicht nur der vielleicht größte Boxer aller Zeiten ist, sondern auch einer, der einem ganzen Kontinent, einem ganzen Volk Hoffnung schenkte – umso erschütternder, wenn man bedenkt, wie sehr dieser Kontinent noch heute gebeutelt ist. In den letzten Bildern, in denen Ali ekstatisch seinen Sieg feiert, bricht plötzlich der reinige, kathartische Regen über der versammelten Menschenmasse herein; ja, es gab eine Zeit, in der Afrika hoffen durfte – und Mann macht es in seinem Film zum Menschen-Ort.

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Universum Film

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