Home 31 Days of Fright Angst (1983)

Angst (1983)

von Robin Längert

Der Wind rauscht durch die halbkahlen Äste. Goldbraune Blätter verteilten sich auf Wiesen und Bürgersteige. Die dunkle Nacht verschlingt den grauen Tag schon zu frühen Stunden. Ja, es ist wieder soweit. Die schönste Zeit des Jahres hat ihren Zenit erreicht. Schnappt euch eure Kürbissuppe, dimmt die Wohungsbeleuchtung auf ein Minimum und schaut euch die furchteinflößendsten Filme an, die ihr finden könnt – denn heute ist Halloween.

Es ist kaum zu glauben, aber das 31. Türchen unseres Horrorkalenders darf heute geöffnet werden. Mit einem krönenden Abschluss heißen wir die finalen Albträume herzlichst willkommenen und beenden unsere siebten 31 Days of Fright mit einem beinahe vergessenen Film aus Österreich, der nicht zufällig auch zu den großen Inspirationen und Lieblingsfilmen von Gaspar Noé zählt: Angst von Gerald Kargl. In diesem Psycho-Horrorfilm werden beinahe in Echtzeit die Stunden eines Mörders nach seiner Gefängnisentlassung gezeigt. Der Ex-Häftling ist nur wenige Minuten auf freiem Fuß, um sich seines größten Bedürfnisses wieder bewusst zu sein; die Todesängste einer Frau im eigenen Würgegriff zu spüren. Es ist nur eine Frage des Zufalls, welches Haus gleich von ihm heimgesucht wird.

Es reichen die ersten Szenen des Filmes um von der visuellen und narrativen Virtuosität fasziniert zu sein. Mit aufwändigen Planseqzenzen, pompösen Kamerafahrten und routierenden Bodycams ist die Intensität jener psychologischen Erfahrbarkeit eines Mörders unausweichlich. Wir folgen dem namenlosen Killer bei jedem Schritt, mit jedem Atemzug, bei jedem Gedanken. Wir sehen ihn nicht reden. Er schweigt die ganze Zeit. Doch seinen inneren Monolog hören wir. Die einzigartigen Bilder sind nämlich unterzeichnet mit einem Voice Over, dass uns tiefe Einblicke in das Innenleben des Protagonsten gibt. Er ist sich all seinen Taten bewusst. Er ist sich auch den Ursprüngen jenes Dranges bewusst, wie man zwischendurch hören kann und erläutert bekommt. Doch es sind keine Erklärbär-Phrasen. Es sind affektive Gedankensprünge eines nach Befriedigung jagenden Monsters.

Es steht außer Frage, dass Kameramann, Editor und Co-Drehbuchautor Zbigniew Rybczyński mit Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Kargl einen Meilenstein des Kinos geschaffen hat. Nicht ein Mal lässt die Inszenierung locker. Nein, stattdessen wird die Schlinge immer enger. Mit einem bahnbrechenden Score von Klaus Schulze folgen wir dem Protagonisten und uns selbst in eine Abwärtsspirale der Intrige. Wir sind dem Willen des Psychopathen ausgeliefert und sind gezwungen, uns in ihn hineinzuversetzen. Kein Weg führt beim Sehen dieses Filmes daran vorbei, Teil seines Horizonts zu sein. Umso perfider ist der Einsatz eines anderes Sprechers gegenüber des Hauptdarstellers: Während wir Erwin Leder schauspielen sehen, hören wir Robert Hunger-Bühler wortgewandt sprechen. Somit wird umso mehr unterstrichen, dass der Killer sich selbst anders sieht und hört, als wir es von außen tun würden. Denn die innere Stimme ist immer separat zu allem.

Es ist atemberaubend einen deutschsprachigen Film von 1983 zu sehen, der dermaßen unverbraucht wirkt. Wo die ersten Gewaltdarstellungen eher abgespeckt sind und dem Zeitgeist gerecht, überrascht Angst in seinem letzten Drittel mit einer schattierten Splatter-Sequenz in einem kalten, betonierten Tunnel. Da scheint es kein Wunder zu sein, dass der Film von Aufführungsverboten geplagt war und keinerlei gerechte Aufmerksamkeit bekam. Selbst heute noch ist das Psychogramm eher ein Geheimtipp statt ein waschechter Klassiker. Das tut zwar im cineastsichen Herzen weh, doch ist der Director’s Cut immerhin als französische Blu-Ray auf Amazon erhältlich. Man bemerke dabei die geringere Laufzeit des DC gegenüber der längeren Kinofassung, die für eine konventionelle Laufzeit gestreckt wurde.

Es ist noch nicht zu spät einem verschollenen Meilenstein Tribut zu zollen. Ob Angst nun eher als Horrorfilm oder lieber als Psychothriller betrachtet werden möchte, hängt wohl ganz von der Wahrnehmung des Genres ab. Auch wenn die Bedrohung in Horrorfilmen signifikanter Weise von außen kommt, und wir in diesem Falle aus der Sicht der Bedrohung beobachten, ist es keinesfalls weniger Horror als andere Slasher- oder Splatterfilme. Ganz im Gegenteil: Der Horror ist greifbarer denn je, weil wir durch die strenge Subjektivität der Bilder ein Teil davon werden. Wenn der Protagonist eine Wurst isst und währenddessen zwei junge Frauen beobachtet, sie ausmustert und sie sich als perfekte, kommende Opfer ausmalt, dann wirkt der Biss in die Wurst im Mund des Psychopaten fleischiger, fetttriefender und abstoßender denn je. Kargl und Rybczyński haben mit Angst einen Film für die Ewigkeit geschaffen, dessen kunstvolle Intensität, Virtuosität und Konsequenz niemals totzukriegen ist.

Empfehlenswert für Halloween, weil kein cineastisches Psychogramm eines Mörders jemals eindringlicher war als dieser inszenatorische Meilenstein des Untergrundkinos. Wer ein verschollenes Meisterwerk der terrorisierenden Bedrohung und einen der größten Lieblingsfilme von Gaspar Noé sehen will, darf den österreichischen Horrorfilm Angst (oder auch Schizophrenia) nicht verpassen. Ein Film, der seiner Zeit sagenhaft voraus war. Happy Halloween, happy Frights und vielen Dank an alle Leser, die auch dieses Jahr ein Teil unseres Lieblingsmonats waren. Danke für alles!

Regie: Gerald Kargl
Drehbuch: Gerald Kargl & Zbigniew Rybczyński
Produktion: Gerald Kargl, Josef Reitinger-Laska
Darsteller: Erwin Leder, Robert Hunger-Bühler (Stimme), Silvia Rabenreither
Altersfreigabe: ab 18
Laufzeit: 79 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1983
Budget: 400.000 EUR
Box Office: unbekannt

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Epix Media AG.

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