Gareth Evans wurde der Filmgemeinde mit seinen beiden Action-Meisterwerken The Raid + The Raid 2 bekannt. Sein Verständnis für die Inszenierung der Action mit kinetischer Kamera und roher körperlicher Physis setzte Maßstäbe im Genre. Nachdem bekannt gegeben wurde, dass ein Abschluss der Reihe komplett auf Eis gelegt wurde, bildet Apostle eine Umorientierung des walisischen Regisseurs. Von Martial Arts Action geht es zum Horror.
Apostle versteht sich dabei als waschechter Slow-Burner der sich mit seinen saftigen 130 Minuten äußerst viel Zeit mit seiner Entwicklung lässt. Das ist indes eine komplett andere Erfahrung im vergleich zu den Vorgängerarbeiten von Evans und erfordert auch einiges an Sitzfleisch. Das ist im Kontext jedoch nicht als negativer Punkt zu verstehen, sondern als notwendiges Mittel für die Sogwirkung der Geschichte. Denn soweit bildet alles Routine.
Bereits in V/H/S 2 inszeniert Evans mit seiner Safe Heaven Episode eine brachiale Found Footage Eskalation in einer thailändischen Sekte, die den Teufel auf die Erde holen wollte. In Apostle muss Dan Stevens seine Schwester aus den Fängen einer Sekte befreien. Dabei klaut sich Apostle geschickt die Motive aus verschiedenen Filmen und verbindet sie. Leider jedoch nicht immer zu einem stimmigen Ganzen. Denn narrativ wird die eigentliche Simplizität der Geschichte zu einer riesigen Masse aufgeblasen. Das hilft dem Treiben nur bedingt, denn oftmals rutscht Apostle in Unasgereiftheit ab.
Evans kann sich nicht ganz von seiner Dynamik lösen und findet immer wieder schnelle Kameraspielereien im kurzen Handgemenge. Das bildet nicht nur einen starken Kontrast zur ruhigen Kamera- und Erzählarbeit, sondern sendet die falschen Impulse an den Zuschauer. Denn sein Tempo lässt Apostle in dem gedrosselten Modus. Doch welches Gespür er für Horror entwckelt ist umwerfend. Man erzielt die Spannung aus unheimlicher Kameraarbeit, verstörenden Bildern und purer Entartung in der Gewalt.
Mit einer Veröffentlichung in Kinos wäre Apostle niemals durch die Zensurbehörden gekommen. Denn sein Fokus auf viehische Gewalt dreht mehrmals den Magen um. Dabei blitzt jedoch auch ständige eine allgemeine Kritik an religiösem Fanatismus auf. In einer Einstellung wird ein brennendes Kreuz in einem menschlichen Auge reflektiert. Im Film selbst bleibt es jedoch bei diesem Ausreißer, denn Apostle verbindet viele verschiedene Subgenre etwas verworren.
Aber genau dann weiß Evans seine Qualitäten als Regisseur einzusetzen. Er weiß exakt wann sich das Treiben zurückhalten muss und wann sie zerberstend ausrasten darf. So entsteht ein faszinierender Film zwischen Wicker Man, The Raid und der Safe Heaven Episode, der viele Zuschauer durch sein entschleunigtes Tempo und durch seine Gewalt abstoßen wird. Nicht alles was glänzt ist Gold und Apostle ist weit von der Qualität der Raid Filme entfernt aber eröffnet in der Vita des Regisseurs ein neues Kapitel. Und wie okkulter Horror hier ohne Jump-Scares inszeniert wird ist klasse.
Empfehlenswert für Halloween weil: Im wahrsten Sinne eine erschreckende Filmerfahrung. Mit verstörenden Bilder, ultrabrutaler Gewalt und langsamen Erzähltem fordert Apostle allerhand vom Zuschauer ab. Doch wenn in die sauren Apfel beißt und sich durchkämpft, bekommt einen stilsicheren Slowburner der in seiner Konsequenz noch lange im Gedächtnis bleibt!
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