Passend zum Familiendrama Ben is back läuft analog das Entzugsdrama Beautiful Boy mit Steve Carell und Timothée Chalamet in den Hauptrollen in unseren Kino. Ersteres musste an der Kinokasse jedoch den kürzeren ziehen. Liegt das einzig und allein an dem hübschen Jungen?
Zugegeben, Chalamet zieht das junge, weibliche Publikum an. Soviel konnte ich feststellen, als ich mich im Kino zwischen den Reihen umschaute. Doch ist der Jungstar nicht das einzige Zugpferd, welches tatsächlich eine ausgeglichen starke Performance zwischen Physis und Psyche abliefert. Nein, mit ihm schafft der Film nur seinen halben Eindruck, denn Carell weiß ebenso zu begeistern – und das nicht nur, weil er seinen signalisierenden Drama-Bart trägt. Einzeln, als auch als Vater-Sohn-Verschmelzung kennt ihr Schauspiel keine Qualitätsgrenze. Damit ist es gleichermaßen mutig von Regisseur Felix Van Groeningen sich größtenteils auf seinen Cast zu verlassen. Das heißt jedoch nicht, dass sein Film keine anderen Stärken hat.
Van Groeningens schaut assoziativ auf die Geschichte, deren Perspektive besonders in der ersten Hälfte der Vater übernimmt. Wir sehen Bildwechsel losgelöst von der Zeit, aber im Einklang mit dem Gefühlswesen der Protagonisten. Somit spielt es keine Rolle sich zwischendurch zu fragen, an welcher Stelle der Timeline man gerade ist. Das mag das Seherlebnis teils etwas schwächen, da die Desorientierung nicht immer funktioniert, doch hilft es weitaus besser die Schlussfolgerungen jeder Handlung zu verstehen. Da darf jeder der beiden Figuren mal der „Antagonist“ der Szene sein und Fehlverhalten aufzeigen. Das macht den Film nicht nur spannender, sondern auch provokanter.
Lediglich anzukreiden ist dem Film hin und wieder seine Inszenierungsart. Sein Blick auf die Droge und den Entzug wirkt manchmal zu „geleckt“ mit viel zu distanziertem Ton. Als Beispiel dient dafür besonders die Szene, in der Carells Figur das Skizzenbuch seines Sohnes durchblättert und den seelischen Zerfall seines Kindes anhand der zunehmenden Schwärze und Finsternis in den Zeichnungen erkennt. Unterlegt ist diese notwendige Szene mit einem vollkommen unpassendem Score, der mit seinem synthetischen Gedröhne gleichermaßen eine Alieninvasion ankündigen könnte. Deutlich zu überspielt, wie auch deplatziert sind daneben auch andere musikalische Einsätze, die dem Film für ihren Moment seine Glaubwürdigkeit entzieht. Zum Glück sind diese Stellen jedoch in der deutlichen Minderheit.
Nichtsdestotrotz ist Beautiful Boy ein bewegendes Drama geworden, das sich selbstreflektierend mit dem Thema auseinander setzt. Dabei werden beide Seiten, die des süchtigen Sohnes und des besorgten, handelnden Vaters, gleichmäßig beleuchtet ohne parteiisch zu werden. Dass die finale Umsetzung kleine Mängel hat, sei verziehen, denn berühren kann Van Groeningens Film mit voller Stärke.
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