Es musste ja so weit kommen. Als die vom „Hays-Code“ aufoktroyierte Züchtigkeit langsam bröckelte, als „Psycho“ – damals muss er beinahe transgressiv gewirkt haben – an die Grenzen des filmisch Darstellbaren ging, war der Äther der Filmwelt bereit für einen Film, der diese Grenzen endgültig überschreiten würde. Das war „Blood Feast“ von 1963, der gemeinhin als der erste Splatterfilm überhaupt gilt.
Die Macher waren enttäuscht vom Blutmangel in „Psycho“ und drehten mit kleiner Crew, Pappkameraden-Darstellern und Playmates einen der ersten amerikanischen Exploitationfilme, der gut in den Übergang zu den anarchischeren Sechzigern passt. Ein 67-Minüter in bunter Farbe, die Regie genießt die Impressionen der in viel zu hellem Blut getränkten Schlachtabfälle, die als Organe herhalten müssen. Diese wiederum werden von Fuad Ramses, einem wahnsinnigen Serienmörder, der es auf junge Frauen abgesehen hat, gesammelt, um daraus ein Festmahl für die antike ägyptische Göttin Ishtar zuzubereiten. Nichts weiter als ein Standbild der Sphinx im Vorspann etabliert dann auch den für Horrorfilme essentiellen Mythos.
Publikumswirksam („Nothing So Appaling In The Annals Of Horror!“) vermarktet wurde „Blood Feast“ zum Grindhouse-Selbstläufer. Die Story ist faules Mittel zum Zweck und vom Zufall regiert, Overacting herrscht vor. Besondere Erwähnung muss der Score finden, den Regisseur Lewis (auch Kameramann, sowas spart Geld) komponierte: Monotoner, unpassender Drumschlag ohne Profil und ein archaisches, tiefes Geigensolo – das ist alles nicht gut, wird aber mit den nicht besonders sinnhaft kadrierten Einstellungen, ruckligen Schwenks und der eigentümlichen Gestalt Ramses (ein nicht im Dunkeln bleibender, für alle sichtbarer „Mad Priest“ mit Augenbrauen wie Stahlwolle) zur eigentümlichen Stimmung, die „Blood Feast“ zum Kultfilm macht.
Empfehlenswert für Halloween weil: „Blood Feast“ wahrscheinlich keine Angst mehr verursacht, aber ein filmhistorisches Exponat ist, dem es nur darum ging, die Säue durchs Dorf zu treiben. Lohnt sich.
Hier ist auch die richtige (wenn auch verspätete) Gelegenheit, ein paar Worte über den Regisseur des Films, Herschell Gordon Lewis, zu verlieren, der am 26. September.2016, im hohen Alter von 90 Jahren verstarb. Abgesehen von den obligatorischen Spiegel Online-Zeilen fand dieser Verlust leider so gut wie kein Echo.
Lewis, zuvor wie sein Kollege Wes Craven im Lehrbetrieb tätig, begann seine Karriere beim Film als Produzent in Chicago. Seine ersten Filme, die sein langjähriger Geschäftspartner David F. Friedman produzierte, waren kleine, heitere Softcore-Nudies. Mit ihrer Verlagerung in die Nudisten-Lebenswelt umging man so die Stigmatisierung als Pornografie, profitierte aber von der damals aufkeimenden Faszination daran. Dem Gesetz des B-Movies folgend drehte Lewis das, was Geld einbrachte – und das möglichst schnell, billig und reißerisch.
Als das Interesse an Nacktheit abflaute, fand Lewis zum blutigen Grindhousekino, das er mit „Blood Feast“ umkrempelte und weiterentwickelte; sein vielleicht bekanntester Film, „2000 Maniacs!“ legte den Grundstein für den Südstaaten-Backwoodshorror.
Nach seinen Ausflügen in den Bereich gesellschaftlicher Tabus in den Sechzigern („The Girl, the Body, and the Pill“, 1967) zog sich Herschell Gordon Lewis aus dem Filmgeschäft zurück, um sich erfolgreich der Werbung zu widmen. Erst in den 2000ern kehrte er noch einmal zurück und drehte „Blood Feast 2: All U Can Eat“ und „The Uh-oh Show“. Fanservice pur.
Seine Filme tragen so klangvolle Namen wie „Boin-n-g“, „Bell, Bare and Beautiful“, „Color Me Blood Red“, „The Gruesome Twosome“, „How to Make a Doll” oder “The Year of the Yahoo!”. Es waren keine guten Filme, aber Herschell Gordon Lewis war einer jener ehrlichen Opportunisten, die das Kino ein Stück freier gemacht haben. Danke dafür.
Rest in Peace