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Bones and All

31 Days of Fright – Tag 24

von Robin Längert

Man könnte sagen, er sei der Jonathan Demme unserer Gegenwart. Und tatsächlich gibt es einige Merkmale in dem Regiestil des Italieners Luca Guadagnino, die mit dem 2017 verstorbenen Das Schweigen der Lämmer– und Philadelphia-Regisseurs vergleichbar sind. Doch war Demmes Filmografie anfänglich noch von Exploitation- und B-Movies inspiriert, später deutlich philanthropisch und humanistisch motiviert, wagen Guadagninos Filme einen deutlich abgründigeren Blick in das Wesen seiner Figuren. Sein 2022 erschienener Liebes-Horrorfilm Bones and All stellt in dieser Hinsicht einen absoluten Höhepunkt in Guadagnino Oeuvre dar, das sein wiederkehrendes Thema von Lust und Getriebenheit an die Spitze treibt.

2017 erlebte Guadagnino seinen internationalen Durchbruch mit dem Coming of Age-Liebesfilm Call Me By Your Name. Sein Hauptdarsteller Timothée Chalamet wurde zum Weltstar und wird seitdem sogar mit dem jungen Leonardo DiCaprio verglichen. Fünf Jahre später hat Guadagnino seinen Shooting Star erneut für eine Hauptrolle in einem Liebesfilm gecastet – nur diesmal darf seine Figur Menschenfleisch statt Pfirsiche essen. Tatsächlich jedoch spielt Chalamet nur die zweite Geige. Denn dies ist eigentlich nicht nur der Film von Hauptfigur Maren. Es ist vor allem der Film ihrer Darstellerin Taylor Russell.

Größere Aufmerksamkeit erhielt Russell als Hauptdarstellerin der beiden Escape Room-Filme, sowie durch Waves von Trey Edward Shults. Ihr wahres Potential konnte sie jedoch erst mit jenem Kannibalismus-Drama entfalten, in dem sie geradezu eine Sternstunden-Performance darlegt. Dabei findet die Erzählung einen großartigen Ausgleich zwischen den selbstfindenden Lichtmomenten und den selbstzerstörerischen Bedürfnissen der Figur Maren, zu denen nicht nur der Verzehr von Menschen gehört, sondern auch die Liebe zu einer gleichgesinnten Person. Geschaffen wird damit eine verstörende, herzzerreißende und äußerst brutale Allegorie zu der Welt von substanzabhängigen Individuen, die sich ihre eigene Zukunft verwehren, je mehr Zeit sie in ihrer Community-ähnlichen Parallelwelt verbringen.

Bones and All findet für sein Thema beige-braune, analoge 35mm-Bilder, die ein Sprachrohr für die Gefühlswelt seiner Protagonistin schaffen. Landschaften und Kleinstädte, die mit ihrer weitläufigen Schönheit eine schwerwiegende Einsamkeit in sich tragen. Verloren, auf sich allein gestellt, und doch einer offenen Welt gegenüberstehend, die mehr verspricht, als der Protagonistin gewährt ist. Getragen wird all das von dem sagenhaften Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross, die bereits David Finchers Filme seit The Social Network musikalisch begleiten. Hier findet sich genauso die sehnsüchtige Melancholie und Traurigkeit des Filmes wieder, wie auch sein blutrüstiges Grauen, das sich in seinen gewalttätigsten Momenten kein Bruchteil von Zögerlichkeit anmerken lässt. Und trotzdem gibt es da noch diese bittersüße Liebesgeschichte. Diese nuancierte Wärme, die Guadagninos Horror-Drama zu einem nie dagewesenen Filmerlebnis evaluiert und als ungemeines Kontrastmittel für den umso intensivieren Schock genutzt wird. Ein mutiger, verstörend-brutaler und unvergesslicher Erfolg, der umso größere Vorfreude auf Guadagninos Queer macht.

Empfehlenswert für Halloween, weil die Verschmelzung von Horror und Romantik ein gefühlssprengendes Ausmaß kreiert, das eine gänzlich neue Erfahrung für das Potenzial seines Genres darbietet. Für einen Horror-Arthaus-Abend zu zweit der vermutlich beste, wenn auch schmerzhafteste romantische Halloween-Film, der zur Verfügung steht.

Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: David Kajganich (nach dem gleichnamigen Roman von Camille DeAngelis)
Produktion: Luca Guadagnino, Theresa Park, Marco Morabito, David Kajganich, Francesco Melzi d’Eril, Lorenzo Mieli, Gabriele Moratti, Peter Spears, Timothée Chalamet
Darsteller: Taylor Russell, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, André Holland, Chloë Sevigny, Mark Rylance
Bildgestaltender Kameramann: Arseni Khachaturan
Komponist: Trent Reznor & Atticus Ross
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 130 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 2022
Budget: 16-20 Mio. USD
Box Office: 15,2 Mio. USD

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Warner Bros.

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