Home FilmeDas Schreckenskabinett des Dr. Phibes

Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes

von Sean Theumer

Es gibt Filme, die altern nicht im herkömmlichen Sinne. Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes von 1971 gehört genau in diese Kategorie. Was auf dem Papier wie ein kurioses Stück britischer Gothic-Horrorcomedy klingt, entfaltet sich als wohlig warmer Grusel voller Stil, Ironie und makaberer Eleganz – ein Film, der zwischen Pappmasche-Opulenz und morbider Experimentierfreude balanciert und dabei seine Zeit weit hinter sich lässt. Und wer heute die perfide Präzision der Saw-Reihe kennt, wird schnell erkennen, dass James Wan und Leigh Whannell hier ganz genau hingeschaut haben könnten. Für die zeitliche Einordnung bei mir, merke ich gerne an, dass ich diesen Film erst gesehen habe, nachdem die Videos der Fallen aus Saw 1-3 bereits über den Schulhof wanderten.

Vincent Price spielt den titelgebenden Dr. Anton Phibes, einen genialen Organisten und Tüftler, der nach dem tragischen Tod seiner Frau selbst bei einem Autounfall entstellt wird – und fortan eine Reihe von Ärzten und Chirurgen auf grausam phantasievolle Weise zur Rechenschaft zieht. Seine Rache folgt dabei nicht der reinen Willkür, sondern einer bizarr poetischen Logik: Jede Tötung ist von den zehn Plagen des Alten Testaments inspiriert. Es ist diese Struktur, die den Film so reizvoll macht – fast wie ein Vorläufer des modernen Torture-Porns, nur dass hier alles durchdrungen ist von barocker Ästhetik, Technicolor-Pracht und dem unnachahmlichen Charme des 70er-Horrors, immer mit dem leichten Hang zu billigen Sets.

Was bei Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes sofort auffällt, ist seine Bildsprache. Jedes Set wirkt wie ein Kunstwerk – goldenes Licht, ornamentale Möbel, opulente Kostüme, alles gefilmt mit einer analogen Sanftheit, die selbst die grausamsten Szenen in etwas Traumähnliches verwandelt. Wer die Hammer-Filme aus den späten 50er und 60er Jahren liebt, weiß welcher Look auf sich warten lässt. Der Film lebt weniger von Schock, sondern von Atmosphäre. Seine Grausamkeiten sind raffinierter als brutal, seine Fallen makaber, aber nie reißerisch. Eine der wohl fiesesten Szenen zeigt eine Ratte, die in einem Flugzeugcockpit freigelassen wird – eine Idee, so absurd wie clever, die man in ihrer Zeit schlicht noch nicht kannte. Bei einem heutigen Remake wären die Zensurbehörden sicher im Aufschrei, aber versetzt man sich jetzt einmal 50 Jahre zurück, kann man sich gut vorstellen wie aufgerissen die Münder damals gewesen sein müssen.

Vincent Price ist dabei in absoluter Hochform. Ohne jemals wirklich den Mund zu bewegen, Phibes spricht durch einen Vokoder, da sein Gesicht schwer verletzt ist – schafft er es, Emotion, Bosheit und tiefen Schmerz zu vermitteln. Sein Spiel ist theatralisch, fast schon opernhaft, und genau darin liegt der Reiz. Price gibt seinem Monster eine Seele. Seine Rache ist grausam, aber sie folgt einer Logik, die man fast nachvollziehen kann. Regisseur Robert Fuest balanciert dabei auf einer schmalen Linie zwischen makabrem Humor und ernsthaftem Gothic-Horror. Manche Szenen sind so absurd überinszeniert, dass man schmunzeln muss – und doch bleibt der Film jederzeit stilistisch geschlossen. Es ist diese Mischung aus britischem Understatement, religiöser Symbolik und dekadentem Design, die Dr. Phibes zu einem viel zu unbekannten Unikat macht.

Empfehlenswert für Halloween weil: Heute, über fünfzig Jahre später, wirkt der Film fast wie ein Stück aus einer anderen Welt: langsam, liebevoll konstruiert und mit einem Sinn für visuelle Symmetrie, der modernen Horrorfilmen oft fehlt. Seine Fallen sind vielleicht handgemacht und analog, aber in ihrer Raffinesse wirken sie wie der Urentwurf für das, was Jahrzehnte später in Saw digitalisiert werden sollte. Ein wohliger morbider Gruseltraum in leuchtenden Farben.

Die Bilder obliegen dem Verleih ©Constantin Film

Related Articles

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.