Es gäbe schon dutzende Gründe, Die Mumie in der Luft zu zerreißen. Der Film ist ein Reboot, schlimmer sogar, ein Franchise- bzw. „Universumsauftakt“, der auch noch auf den alten Universal-Monsterfilmklassikern basiert. Des Weiteren besteht der Produktionsstab hinter „Die Mumie“ aus furchteinflößenden Gestalten wie Robert Orci („Mastermind“ hinter der „Transformers“-Reihe), David Koepp und anderen üblichen Verdächtigen, die schon so manchen Blockbuster in den Sand setzten. Routinierte Popcorn-Zyniker also. Dennoch wäre es mehr als unfair, so auf ihn loszugehen, wie es in der US-amerikanischen Presse geschieht. Überhaupt ist dieses Bashing symptomatisch und entlarvend für die Krise der etablierten populären Filmkritik in den Staaten (nicht nur: auch die deutschen Feuilletons sind nicht unschuldig). So bezeichnet die IndieWire den Film polemisch als unoriginelle „Grabräuberei“, wieder andere Stimmen als fad schmeckendes Pastiche. Paradox, gehören doch genau die Gazetten, die jenes verbreiten, zur ellenlangen Reihe der wenig reflektierten Marvel-Enthusiasten, die jede neue Comicverfilmung in ihre Jahresend-Bestenlisten aufnehmen, obwohl sich der Marvelschrott genauso immer wieder in den eigenen langweiligen Bilderwelten suhlt. Solchen Stimmen ist also nicht zu glauben, und tatsächlich: Die Mumie überrascht, denn vieles an ihm ist gänzlich untypisch.
Tom Cruise spielt den Soldaten Nick Morton, der sich im Irak als amoralischer Plünderer und Grabräuber versucht. Zu Beginn des Films legt er durch Zufall ein riesiges ägyptisches Grab frei, aus dem auf Betreiben einer flüchtigen Bekanntschaft, der Archäologin Jenny (Annabelle Wallis) ein Sarkophag freigelegt wird. Sie ahnen nicht, dass sie damit eine uralte mystische Macht geweckt haben, und schon bald nimmt das Übel seinen Lauf. Die Hintergrundgeschichte dieser Macht und der weitere Verlauf ist selbstverständlich völlig hanebüchen – wer sich darauf nicht einlassen kann, wird eine ähnlich schlechte Zeit haben, wie zuletzt ich mit „Kong: Skull Island“. Daher sei eine gewisse kindliche Offenheit vorausgesetzt.
Schon zu Beginn fallen überraschende Ungereimtheiten – her im positiven Sinne – auf. So wird z. B. das barbarische Wüten des Islamischen Staates und das Zerstören antiker Kulturgüter recht explizit angeschnitten. Außerdem spielt Tom Cruise einen ziemlichen Niemand (sogar dabei macht er eine verdammt gute Figur; der Mann ist ein Phänomen), der, wie erwähnt, von seiner früheren Amoralität in einen Kampf zwischen Gut und Böse gerät, in dem beide Seiten an ihm zerren. Was diese interessante und von Cruise mit angenehmer Ironie getragene charakterliche Entwicklung begleitet, ist schlicht und einfach purer Pop-/Pulp-Horror mit teils erstaunlich expliziten Schockern und Ekeleffekten. Besonders hervorgehoben sei hier die nächtliche Szenerie bei einer alten englischen Kirche. Nicht nur kommt es hier zur ersten Begegnung mit der titelgebenden Kreatur; auch vermischen sich hier in allerbester B-Movie-Manier Horror (besonders die Mumie in ihrem frühen, verwesten und verrenkten Stadium hat es in sich), düstere Gothik-Atmosphäre aus den alten Klassikern und deftige Action. Solch eine Melange ist sicher riskant – aber hier macht es Freude.
Auch wenn Die Mumie dann im dritten Akt – trotz Russell Crowe – Fahrt verliert, bringt das Ende konsequenterweise die Entwicklung des Protagonisten zu Ende. Ohne zu viel verraten zu wollen: Nick Morton macht sich nach dem metaphorischen Kampf um ihn wieder von allen moralischen Kategorien frei. Für Nietzsche wäre er über den Abgrund geschritten. „Hinübergegangen“. Vielleicht ist dieser doppelte Boden Christopher McQuarrie zuzuschreiben, der am Drehbuch mitwirkte. Anyway: Auch wenn es viel Störendes gibt (v. a. die langweilige, visuell anspruchslose Close-Up-Kameraarbeit), Die Mumie ist seit langem wieder eine goutierbare Großproduktion. Eben weil ein spürbarer Mut zum Anderssein in ihm steckt.
Wir dürfen also gespannt sein, wie sich die „Dark Universe“-Reihe entwickelt – hoffentlich in Richtung High-Budget-Exploitation.
(Hinweis für Eltern: Da der Film ziemlich explizit ausgefallen ist und vielleicht sogar eine 16er-Freigabe gerechtfertigt wäre, ist es ratsam, diesen Film nur mit Kindern anzusehen, die das zwölfte Lebensjahr wirklich vollendet haben.)
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