Fünf Jahre nach seinem Debütfilm Citizen Kane, welcher heute zu den bedeutsamsten Werken der Filmgeschichte zählt, widmete sich Orson Welles dem Nachkriegskino. Mit Die Spur des Fremden schuf er damit nicht nur einen wichtigen Vertreter des klassischen Film noir, sondern verfilmte gleichzeitig eine Drehbuchadaption, die vom Schöpfer der schwarzen Serie höchstpersönlich stammt: John Huston.
Ein Ex-Nazi (Orson Welles) tarnt sich in der US-amerikanischen Kleinstadt Harper als Lehrer, um seiner Vergangenheit als einflussreicher Erfinder des Konzentrationslagers zu entfliehen. Der Detective Mr. Wilson fahndet zeitgleich nach jenen flüchtigen Nazis und kommt dem KZ-Urheber gefährlich nahe auf die Spur.
Die Spur des Fremden läutete einen neuen Ton im Film noir ein. Nachdem hauptsächlich realitätsfernere, dennoch intensive Bilder des Expressionismus adaptiert worden sind, wirkt nun deutlich stärker das Nachkriegskino in die Geschichten der schwarzen Serie ein. Eine pessimistische Reflexion der Großstadt reichte nicht jeder Geschichte aus, nachdem ein zweiter, grauenhafter Weltkrieg verarbeitet werden musste. Somit traut sich Welles Krimi einen Schritt näher zur Realität und spricht als erster Hollywoodfilm das Grauen des KZ deutlicher aus als je zuvor – und das mit den direktesten Bildern, die die Traumfabrik bislang gezeigt hat. Das scheint erst äußert unpassend für eine solch stilisierte Strömung wie dem Film noir zu klingen, doch traut sich Welles an dieser Stelle, für diese eine Filmminute, dokumentarische Bilder zu benutzen, die sich reibungslos zwischen den großen Leinwandbildern platzieren.
Allgemein kristallisiert sich auch hier wieder heraus, wie beeindruckend und talentiert Welles mit der Visualität des Mediums umgehen kann. Somit scheinen in der ersten Hälfte des Filmes jegliche stilistische Mittel des Film noirs zu fehlen, ehe in der zweiten Hälfte umso verstärkter mit Licht, Schatten und Qualm gearbeitet wird. Sein Film gewinnt umso mehr an Unterhaltung, denn in jederlei Hinsicht ist eine Entwicklung zu spüren, eine finstere Abwärtsspirale. Diese ist zwar bereits sehr früh bemerkbar, denn die Atmosphäre des Krimis ist konstant finster, doch drückt sie mit jedem zunehmenden, visuellen Schritt in die Finsternis mehr aufs Gemüt.
Neben jener visuellen Vielfalt entpuppt sich auch die Charakterdarstellung als interessant. Besonders betroffen ist die Entwicklung von Welles Filmfrau, die für jene Zeit eine ungewöhnliche Stärke entwickelt, war doch das damalige Frauenbild im üblichen Falle geradezu verwerflich. Doch sie stellt sich nicht nur als temperamentvolle Femme fatal heraus, sondern ist auch die Brücke für beide Sympathieträger – dem Ex-Nazi und dem Detective. In diesem Zuge sei gleichermaßen hervorzuheben, welch einen mutigen Schritt Die Spur des Fremden wagt, indem er höchst provokant mit der Sympathie des Ex-Nazis spielt und damit umso bedeutsamer und radikaler für den Film noir ist.
Ganz perfekt ist der Film jedoch nicht. Denn ganz gleich, wie lobenswert seine Zuspitzung ist, bleibt besonders der Beginn des Krimis schlecht erzählt, wie auch der Charakter des Detectives. Haupt- und Nebenfiguren verwischen zu unkontrolliert zu Beginn, womit die Positionen beinahe zu spät klar werden. Wohlmöglich ist das auch der Grund, weshalb Welles speziell diesen Film als seinen schlechtesten bezeichnet. Einen anderen Grund kann man sich schwer erklären, denn viele andere Aspekte des Filmes sind durchaus zufriedenstellend.
Die Spur des Fremden bleibt ein ganz besonderer Vertreter der Film noirs. Vor allem seine zweite Hälfte punktet durch visuelle Stärken, mutigen Annäherungen zum Thema des Konzentrationslagers und den Charakterdarstellungen des ungleichen Ehepaars. Darüber hinaus ist Welles Schauspiel wie immer unfassbar emphatisch. Trotzdem fehlt es dem Beginn an kompetentem Fokus, womit er deutlich zu spät an Fahrt und Koordination beginnt. Als Hybrid aus Film noir und Nachkriegsfilm ist Die Spur des Fremden dennoch ein besonderes Exemplar.
Black Friday: Jeden Freitag ein klassischer Film noir aus der schwarzen Serie.
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