Michael Mann-Retrospektive #2
Zwei Jahre nach Michael Manns Debütfilm „Thief“ folgte mit „The Keep“ ein mit deutlich größerem Aufwand produzierter, durch und durch sonderbarer Film in gänzlich anderem Setting: Mitten in den Wirren der Ostfront des zweiten Weltkrieges rückt ein Trupp Wehrmachtssoldaten in ein rumänisches Dorf ein und bezieht in der dort liegenden uralten Festung Quartier. Schon bald setzen die Soldaten eine mystische Kraft frei, die seit Jahrhunderten in den alten Gemäuern gelauert zu haben scheint. Die titelgebende Burg wird zum Schauplatz unerklärlicher Ereignisse ungeahnten Ausmaßes…
“This fortress wasn’t built to keep something out.”
„The Keep” lässt den Zuschauer recht ratlos zurück, was wohl in erster Linie daran liegen mag, dass das gesichtete Endprodukt das Ergebnis mehrerer Schnitte, Abänderungen und Kürzungen ist. Ursprünglich hatte Michael Mann einen über drei Stunden langen Film geplant, war durch Interventionen des Studios aber gezwungen, einen auf knapp 90 Minuten zurückgestutzten, leichter konsumierbaren Cut zu erstellen und viele seiner Drehbucheinfälle zu verwerfen. Nicht verwunderlich also, dass der Verlauf der scheinbar einer Traumlogik folgenden Plotlinie in „The Keep“ mehr als assoziativ erscheint: So wird der Zuschauer mehr als einmal vor vollendete (Offscreen-)Tatsachen gestellt, da die wahrscheinlich von Mann konzipierte Exposition zu diesen Szenen vom Schneidetisch fiel – wodurch „The Keep“ selbst für einen Horrorfilm mit dem Sujet des Metaphysisch-Übernatürlichen oft zu unglaubwürdig und wenig nachvollziehbar wirkt. Vor allem gilt dies für die lustlos konstruiert wirkende, aus dem narrativen Nichts kommende Gut-Böse-Dualität, die im herrlich bescheuerten Finale ihren Kulminationspunkt findet.
Dass aber all das nicht wirklich stört, beweist Michael Manns Talent – selbst ein um mehr als die Hälfte verstümmelter Film bleibt bei ihm eine denkwürdig-lohnende Erfahrung. Das ist vor allem den nicht zuletzt aufgrund ihrer Soundtracks legendär gewordenen deutschen Prog-Rockern von Tangerine Dream zu verdanken, die bereits für „Thief“ mit Mann zusammenarbeiteten und auch hier kongeniale Synthesizer-Klänge beisteuerten, welche den windgepeitschten, häufig von 80er-Jahre-Nebelschwaden umwaberten Szenen eine gar psychedelische Qualität verleihen. Dabei stechen besonders jene Momente hervor, in denen sich Mann sichtlich nicht um die Plotvorgaben des Studios scherte, sondern sich lediglich der ästhetischen Erkundung einer szenischen Idee hingibt – vor allem der luzide-bedrohliche Beginn und die ziemlich deplatzierte Liebesszene sind hier zu nennen, welche wie Obelisken zwischen allerlei charmanten 80ies-Trash-Sequenzen herausragen. Erneut beweist er sein unter Regisseuren seltenes Talent, das Stilmittel der Zeitlupe effektvoll einzusetzen, sodass selbst ohne notwendigen Kontext so manche Szene beinah ergreifend wird.
„The Keep“ ist also einer jener Horrorfilme, von denen eine hypnotische Faszination ausgeht und wirkt als solcher genretechnisch wie ein Fremdkörper in Michael Manns Filmografie. Auf den zweiten Blick scheint dies jedoch nur die halbe Wahrheit zu sein – nicht nur deutet sich in „The Keep“ bereits das so reichhaltig-interessante formale Vokabular des späteren Michael Mann an, auch behandelt er hier erneut (wenn auch in anderen Bezügen als die der urbanen Welt des Verbrechens) eines seiner liebsten Themen: Die moralische Korrumpierbarkeit des Menschen auf dem Weg zu scheinbar höheren Zielen.