„Excision“, zu Deutsch etwa Ausscheidung, Verrottung, Entfernung; all dies kommt hier vor, letzteres beschreibt, sowohl im chirurgischen wie im zwischenmenschlichen Wortsinn gefasst, die zwei großen Themen in Richard Bates Jrs Indie-Perle, in der er mit leisem, satirischen Tonfall und großen Darstellern die Bilder des Aufstandes in der Bigotterie Amerikas festhält und anschaulich macht, wobei ein bewundernswert eigenständiger Genremix entsteht.
Die High School-Schülerin Pauline steht kurz vor dem Abschluss, ist hochintelligent, möchte Chirurgin werden, und doch will sie sich nicht ganz in die perfekte Welt der Vorstadt, die sie mit ihrer Familie bewohnt, einfügen. Es ist die typische Konstellation: eine strenge, tiefreligiöse Mutter, deren Verständnis für individuelle Abweichungen naturgemäß gering ist; ein Vater, der in der Apathie versunken ist, sich abgefunden hat mit der Monotonie des Lebens, den Anschuldigungen und Nörglereien der dominanten Ehefrau und sich meistens auf verschwiegenes Zeitunglesen beschränkt; und ihre geliebte Schwester Grace, die an Mukoviszidose leidet und mit der sie sich noch am ehesten versteht. Pauline fällt aus dem Rahmen, ist bei Klassenkameraden unbeliebt und sorgt für Verstörung, was nicht zuletzt an ihrem ungenierten Umgang mit dem Thema Sexualität liegt, ihre Familie – besonders die Mutter, Traci Lords mimt perfekt diese verbitterte Frau – entfremdet sich immer weiter von ihr und versucht, sie ihrer Illusionen zu berauben. Und immer wieder schleichen sich Paulines Träume und Fantasien ein, in denen, meist vor blau gekachelter Kulisse, das sexuelle Spiel mit toten Körpern und Doppelgängern stattfindet, viel Blut fließt während diesen geradezu rituellen, obskuren Szenen, die Pauline als gebieterische Zeremonienmeisterin leitet und in denen Leichen verstümmelt, in Blut gebadet und abartige Choreografien mit Hang zur Selbstverletzung durchgeführt werden.
AnnaLynne McCord beweist viel Mut und Tiefe, legt Pauline ohne Hemmschwellen an, als eine selbstbewusste junge Frau, deren in wenigen Szenen aufscheinende Fragilität zu Herzen geht. Die Besetzung kann sich generell sehen lassen, bis in die kleinste Nebenrolle: John Waters und Malcolm McDowell in Nebenrollen als hilfloser Pfarrer und alter Mathelehrer bringen ein altmeisterliches Gespür für grenzgängerische Filme mit, ihre Cameos verkommen nie zum Selbstzweck. Wenn die Träume durch Pauline die oberflächlich perfekte Welt der amerikanischen Vorstadt – ein häufig aufgegriffenes Motiv im amerikanischen Horrorfilm – fluten, wohnen wir einem Erwachen bei. Sowohl dem Erwachen der Sexualität als auch dem der Individualität im Unterbewussten. Wird aus diesem Unterbewusstsein dann Klarheit, kristallisieren sich konkrete Wünsche in Pauline, beginnt eine langsam abwärts treibende Spirale, die in ein Finale mündet, das den Zuschauer mit offenem Mund zurücklässt. Immer stärker eckt sie an, während Bates Drehbuch in feinen schwarzhumorigen Momenten die strukturellen Zwänge in Familie (Paulines Mutter versucht selbst, mit den Verletzungen aus ihrer Kindheit klarzukommen und wiederholt sie doch nur; der Fehler der eindimensionalen Betrachtung wird intelligent vermieden), Kirche und Schule karikiert.
Die Verbindung zweier so gegensätzlicher Genres – Splatterfilm und Familiendrama – gelingt. So wie Pauline gegen Ende einen toten Vogel seziert, seziert „Excision“ mit den drastischen Mitteln der Auflösung der körperlichen Unversehrtheit und Oberflächlichkeit die individualitätsfeindlichen Anforderungen der Umwelt, der Ekel der für Pauline erregenden Traumsszenen ist die bitterliche Konsequenz des Aufbäumens, des Aktes des Erwachsenwerdens, dessen Horror selten so eindringlich spürbar war wie hier. Die Angst vor dem Liebesverlust, der Pauline widerfährt, führt zum Abrutschen in den Wahnsinn – die Intoleranz unter dem Deckmantel erzieherischer Fürsorge hat das eigene Kind zerstört, psychisch und körperlich. Beängstigend ist nicht die Bedrohung durch irgendeinen Killer oder Übernatürliches, sondern der durch das Psychodrama zusätzlich angefeuerte Wahnsinn der Hauptfigur, der unterwandernde Ekel und die Tatsache, dass die psychisch Kranke immer stärker zur Identifikationsfigur wird.
In „Excision“ passiert eigentlich wenig, und doch ist keine Szene unnötig, trägt Nuancen zu Tage, oft sind sie von feinem Humor, wagemutiger Drastik oder leiser Melancholie – besonders die langen, stillen Kameraeinstellungen aus der Distanz tragen dazu bei – und zeigen ein Coming of Age der anderen Art, eines ohne Happy End; was bleibt, ist dennoch ein optimistischer Eindruck. Die Protagonistin, mit ungewaschenem Haar und lauerndem Gesichtsausdruck, findet im Laufe des Films zu einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität, die sie, wenn auch abartig, von Beginn an akzeptiert.
Auch wenn „Excision“ mit seiner spärlichen Ausstattung und dem hin und wieder recht unrhythmischen Schnitt in Dialogsszenen einiges an Feinschliff fehlt, ist daraus eine subversive Groteske mit grandiosen Darbietungen und einem zurückhaltenden Ambient-Score geworden, in seiner widerständigen Eigenart ein kleines, viel zu unbekanntes Meisterstück zwischen Genre und Arthouse, das beweist, was B-Filme heute noch leisten können.
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