Erinnert ihr euch noch an das Jahr 2009? Bei der 81. Oscarsverleihung räumt Danny Boyle mit Slumdog Millionaire sage und schreibe 8 Oscars (bei 10. Nominierungen) ab. Er erzählte uns die märchenhafte Geschichte von Jamal, der bei „Wer wird Millionär“ mit jeder Frage eine Erinnerung aus seinem Leben verbindet. Das Aufwachsen in dreckigen Slums, die Misshandlung in einem vermeintlichen Heim für Kinder, die Ausbeutung etc.. Solltet man dieses Meisterwerk zuvor gesehen haben, könnte man in den ersten 45 Minuten von Lion – Der lange Weg nach Hause fast meinen, man sehe ihn nochmal. Der Prolog erörtert nämlich die Situation, zeigt Saroo in seinen kindlichen Verhältnissen, wie er mit seinem Bruder Kohlesteine von fahrenden Güterzügen klaut und letztendlich bei einem nächtlichen Weg in einem Zug einschläft und 1600km entfernt in Kalkutta aufwacht.
Auch Lion – Der lange Weg nach Hause möchte diesen Abschnitt des Lebens möglichst authentisch darstellen und schafft das auch. Doch auch wenn es sich um eine Buchadaption handelt und diese Dinge vielleicht wirklich in diesem Rahmen passiert, kommt hier doch einiges bekannt vor. Kinder, die auf der Straße weggefangen werden, ein vermeintliches Kinderheim in dem die Kinder misshandelt werden und beginnen zu singen um sich aufzumuntern. Natürlich ist dies ein Vorwurf, dem man dem Film letztendlich nicht anhaften darf, zumal es sich nur um eine Spekulation handelt. Doch falls hier geringfügig kopiert, da diese Authentizität im Jahr 2009 bei der Academy eingeschlagen hat, würde dies nur die weiterführende Stilistik des Filmes bestätigen.
Lion – Der lange Weg nach Hause ist wirklich bis zum Exitus in seiner Inszenierung manipulativ auf Academy ausgelegt, dass man sich hier schon wundert wer auf diesen Gefühlszwang hereinfällt. Die Pianoklänge des Scores geben jegliche Emotion bereits vorbeugend in musikalischer Form zum Besten, doch reicht es da nur für zuckriges Gedudel. Sunny Pawar, der den kleinen Saroo spielt ist ein süßer Junge, doch drückt er alle 20 Sekunden seinen riesigen Dackelblick in die Kamera um Mitleid zu erregen. Nachdem er sich aus der Elendsgegend befreien kann und nach Tasmanien kommt, ist er erwachsen und macht eine Ausbildung zum Hotelmanager. Durch Jalebi, eine indische Süßspeise wird er beim kulturellen Weingespräch urplötzlich an seine Heimat erinnert. Ohne Grundmotivation zuvor oder sonstiges.
Die familiären Ungereimtheiten und sozialen Streitereien, sowie die eigentliche Reise zurück zur echten Familie werden in nicht mal einer Stunde abgehandelt, die Rückkehr mit zusätzlichen Texttafeln ergänzt, bevor SIA zum gefühlt hundertsten Mal mit einem Popsong in den Abspann entlässt. Keine Frage, Lion – Der lange Weg nach Hause hat seine Momente die wirklich Emotionen bewirken und bei denen man gelegentlich tief schlucken muss, doch die sind in der Gesamtheit so rar gesät, dass man zu dem Entschluss kommt einen absolut künstlichen Film gesehen zu haben. Einen Film bei dem nicht nur die Inszenierung auf goldene Preise gerichtet ist, sondern auch jegliches Schauspiel. Am Ende fragt man sich nicht, wie manipulativ auf Oscar-Bait dieser Film ausgerichtet ist, sondern wie viele Abspanntracks von Sia die Filmwelt noch erträgt. Aber ja Never give up und so, solange es mit einem poppigen Beat untermalt ist.