Clint Eastwood-Retrospektive #2
Überraschend ist es rein gar nicht, dass sich Clint Eastwoods zweite Regiearbeit Ein Fremder ohne Namen dem amerikanischen Mythos-Genre, dem Western, widmet. Interessant ist demnach die Frage, wonach sich der Western seiner Ansicht nach definiert. Immerhin stammen seine ruhmreichen Auftritte aus den Leone-Western, die zwar im Vergleich zu den Filmen von Corbucci recht blutleer waren, dennoch gleichermaßen das raue, pessimistische Bild des Italo-Westerns prägten.
Vorweggenommen sei, dass Ein Fremder ohne Namen bis heute noch auf dem Index steht. (UPDATE: Seit Ende Juli 2017 nicht mehr indiziert.) Aus gegenwertiger Sicht wäre das sogar begründbar, auch wenn die Darstellung der expliziten Brutalität durchaus zu verkraften ist. Der Grund wäre der Umgang mit dem Frauenbild, das alles in allem komplett verwerflich erscheint. Würde man jedoch versuchen, sich die inszenierten Gräueltaten durch Vergewaltigung und anschließender, spürbarer Lust der Frau zu legitimieren, könnte ein interpretierender Ansatz sein, dass Eastwood mit dem Western selbst abrechnet und der Inhalt sich dem Publikum anpasst, welches in diesem Gerne schon mehr als genug bei solchen Szenarien zugesehen hat. Bei genauer Überlegung könnte diese Intention tatsächlich Eastwoods gewesen sein.
Bekannte Klischees, Sitten und Normalitäten werden in diesem Western auf eigene Faust umgekrempelt. Der namenlose Fremde, wieder auch hier gelungen von Eastwood dargestellt, setzt den Ausdruck des Gesetzlosen im politischen und wirtschaftlichen Bilde um. Was sich als Kommunisierung andeutet, stellt sich ebenso als bloße Anarchie einer Systemgesellschaft heraus. Alle Egozentriker werden ihres Postens entwürdigt und arbeiten in ausgeglichener Gemeinsamkeit – für den namenlosen Fremden. An dieser Stelle ist die originalsprachige Version wärmstens zu empfehlen, da sie das Mysterium um den Fremden beinahe schauerhaft ausklingen lässt, während die deutsche Synchronisation das Grundwesen des Filmes rationalisiert.
Die Umkehrung des Selbstverständlichen hat zu Folge, dass der grobe Plot dem Schema F folgt und im Kern nur eine altbekannte Rachegeschichte mit blutigem Finale ist. Letztendlich handelt es sich dabei nur ein Mittel zum Zweck, das Standartgerüst des Westerns umzukehren. Die Radikalität des Frauenbildes ist trotz alledem schwer einzuschätzen, da der drastische Wandel zu einer wohltätigen Vergewaltigung äußerst Provokant ist. Im Zusammenhang der politischen Züge des Filmes ist jedoch erkennbar, dass sie eher der Naivität entspringen und in ihrer umgesetzten Form zu unschlüssig, damit ausbaufähig sind.
Ein Fremder ohne Namen ist ein holpriger, dennoch interessanter Einstieg in Eastwoods Interpretation des Wilden Westens, den er in drei weiteren Spielfilmen erfolgreich fortgesetzt hat.
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