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Letztes Jahr in Marienbad

von Victor

„In den immer gleichen Gängen dieses Hotels…“

Der Beginn von „Letztes Jahr in Marienbad“ entlässt den Zuschauer schon perplex in den Rest des Films. Mehrere Minuten lang sehen wir nur Kamerafahrten durch die prunkvoll verzierten Gänge eines barocken Hotels, und immer wieder ist ein Monolog der Hauptfigur zu hören. Dann beginnt sie, die Handlung, wenn man sie so nennen darf, in der ein Mann versucht, eine Frau von ihrer angeblichen vergangenen Begegnung zu überzeugen, an der sie sich einfach nicht erinnern kann.

Ein Film wie ein perfekt choreographierter Tanz. Die Kamera fängt in ihren schwarz-weiß-Bildern vor eindrucksvoller Kulisse die Handlungsabläufe einer mysteriösen Hotelgesellschaft ein, deren Regeln und Spiele sowohl für uns als Zuschauer als auch für die Mitglieder dieser Gesellschaft ein Rätsel bleiben. Dabei ist die Kamera im Gegensatz zu denen der anderen Filme der Nouvelle Vague so gut wie nicht involviert. Keine Handkamera, keine Emotion, man will nur zeigen; zeigen, wie sich die geheimnisvollen Vorgänge und Gespräche zwischen Mann und Frau kunstvoll im Kreise drehen.

Dem Regisseur Alain Resnais, dessen Spielfilmdebüt „Hiroshima, mon amour“ bereits bewiesen hat, dass er zu den ganz großen Künstlern des französischen Films gehört, gelingt ein eindrucksvolles Kunststück, indem er der verschachtelten Geschichte immer weitere Facetten hinzufügt, bis man, obgleich die Inszenierung und Kameraarbeit auf Distanz und Kälte aus sind, vollends in deren Sog gerät. Man will verstehen, nachvollziehen, wissen, was vor sich ging, damals in Marienbad, wovon so oft und eindrücklich erzählt wird, was nicht zuletzt auch an dem geduldigen Schauspiel aller Akteure liegt.

Von großer Prägnanz ist auch der Umgang mit Erzählzeiten und Realitäten, nie ist man sich sicher, ob man sich in der Vergangenheit, der Gegenwart, oder dann doch nur in einer Fantasie, einem Traum befindet. Das Drehbuch ist kryptisch, was nicht zuletzt daran liegt, dass es auf eine Figurenzeichnung verzichtet, was aber nicht schadet, im Gegenteil. Es hilft, das Thema des Films zu verdeutlichen, nämlich das durch und durch Ungewisse.

Die Grenze zur großen Filmkunst überschreitet „Letztes Jahr in Marienbad“ dann, wenn die Menschen nach all der stillen Betrachtung zu entfremdeten Rädern in einem endlos laufenden Uhrwerk werden, wenn die Kunst zu bloßer Künstlichkeit degeneriert. Dann entspinnt sich die Metapher, die bereits in den stukgezierten Gängen lauerte, über eine in ihren Zwängen erstarrte Gesellschaft, in der keine Zeit bleibt und kein Platz ist für Emotion, für Liebe. Achtet man auf das Produktionsjahr des Filmes (1961), ergibt das durchaus Sinn, da gerade die Nachkriegszeit eine äußerst konservative und repressive gewesen ist.

Hätten sich David Lynch und Luis Bunuel zusammengesetzt, wäre wahrscheinlich dieser Film entstanden. Pure französische Avantgarde, die den Vergleich mit Meisterwerken wie „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ keineswegs scheuen muss. Auch wenn man, wie bei einem guten Buch, danach eine gewisse Leere verspürt: je länger man darüber nachdenkt, desto besser wird der Streifen, desto mehr Interpretationen kommen in den Sinn, von einem psychoanalytischen Ansatz bis hin zu Theorien über Zeitreisende. Für Cineasten und Freunde unkonventioneller Narrativität eine absolute Empfehlung.

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Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Studiocanal

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