Die Welle an teils rassistischen Mondo-Filmen fand zu Beginn der Achtzigerjahre seinen Endgegner. Ruggero Deodatos Cannibal Holocaust bzw. Nackt und zerfleischt rechnet mit der Arroganz der modernen Gesellschaft ab und findet dafür Wege, die nicht mehr vertretbar sind.
Seit einiger Zeit wird ein vierköpfiges Dokumentarfilmteam vermisst, das über eine im Dschungel isolierte Zivilisation berichten wollte. Professor Monroe (Robert Kerman) sucht daraufhin die verschollene Crew in der Wildnis und findet schließlich Filmmaterial, das ihre letzten Stunden auf Band hält.
Nackt und zerfleischt ist von Grund auf überaus clever aufgebaut. Sein Image als Skandalfilm lässt demnach nur vermuten, dass es sich um einen reißerischen Billigfilm handelt. Sieht man sich das Budget von 100.000 USD an, mag die Bezeichnung auch gewisser Weise stimmen. Die Dramaturgie und sein Aufbau, wie seine Entwicklung sind hingegen alles andere als billig. Sehr geschickt wechselt Deodato immer wieder zwischen Reportage, Found Footage und dem eigentlichen, fiktiven Spielfilm. Die ersten beiden Komponenten gehören im Rahmen des Filmes zur Realität, womit ebenfalls mit der objektiven und subjektiven Wahrnehmung des Zuschauers gespielt wird.
Direkt zu Beginn verlangt der Exploitationfilm eine (wenn auch einfache) Auseinandersetzung mit unserer urbanen, naturentfremdeten Welt. Das Bild der indigenen Völker ist zwar von starkem Rassismus geprägt, doch wird es auch in Teilen dem urbanen Menschen gleichgestellt. Denn beiden Gruppen sieht man dabei zu, wie sie willkürlich vergewaltigen, morden und zerstören – mit der einzigen Ausnahme, dass der urbane Mensch sich über die indigenen Völker stellt und nicht andersherum. Es ist ein Bild, das an die Gräueltaten des Kolonialismus erinnert und die perfide Selbstdarstellung des Weißen Menschen roh und verstörend porträtiert.
Fragwürdig wird der Film mit seiner Zivilisationskritik jedoch auch dann, wenn reale Tiertötungen gefilmt und Teil der fiktiven Handlung werden. Ganze sieben Tiere wurden am Set von Nackt und zerfleischt vor laufender Kamera getötet, ohne durch Attrappen ersetzt zu werden. Dazu gehören u.a. ein Nasenbär, zwei Totenkopfaffen und eine große Schildkröte (siehe Bild), die allesamt ausgeweidet und von der realen Filmcrew gegessen wurden. Dass selbst die Tierverstümmelungen in all ihren Details ihren Weg in die finale Schnittfassung geschafft haben, lässt vollkommen offen, ob das Filmteam denn die Aussage ihres eigenen Filmes verstanden haben. Umso deutlicher wird dafür der Wahrheitsgehalt von dem Inhalt des Filmes, dass der urbane Mensch sich keineswegs genug von der Brutalität der Natur entfernen konnte.
Der in diesem Zusammenhang gelungene Effekt ist, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion für den Zuschauer an vielen Stellen unerkennbar bleibt. Somit ist es besonders die letzte Viertelstunde, die einem ihren Gore-Anteil erschreckend nahekommen lässt. Abgetrennte Geschlechtsorgane, Enthauptungen und im nassen Schlamm vergrabene Föten bilden nur einen Teil an Inszenierungen, die aufgrund ihrer realistischen Züge beinahe unerträglich sind. Das mag die Wirkung des Filmes verdammt gut intensivieren, wenn auch auf überaus reißerische Art und Weise. Letztlich abgerundet wird dieser Sog durch den sehr gelungenen Schnitt und die kontrastreiche Filmmusik, die ihre harmonische Seite beinahe augenzwinkernd nutzt. Deutlich fehl am Platz ist der Soundtrack jedoch bei den Tiertötungsszenen, der die realen Gewaltakte abgrundtief geschmacklos und abstoßend ästhetisiert.
Nackt und zerfleischt darf auch heute noch zu den waschechten Skandalfilmen gezählt werden. Wird der Film auf seine nicht-realen Passagen reduziert, ist er trotzdem noch blutrünstig und verstörend, wie auch infolge seiner Konsequenz und der kaum alternden Härte immer noch faszinierend und wirkungsvoll. Der Fakt, dass während des Filmes reale Tierermordungen, -quälerei und -verstümmelungen zu sehen sind und sich die Darstellung der indigenen Völker zu sehr rassistischen Mustern bedient, lässt letztlich keine vollkommende Faszination zu und senkt den Gesamteindruck. Das ist schade, denn Nackt und zerfleischt könnte zu den wirklich besten Filmen seiner Art zählen.
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