Inmitten der finalen, zerbrechenden Phase des Neuen Deutschen Films gab es zwar zahlreiche Sternenstunden, darunter der Oscar für Volker Schlöndorffs Die Blechtrommel und der ebenso weltweite Erfolg von Rainer Werner Fassbinders Die Ehe der Maria Braun, doch Finazierungen erlitten immer mehr Engpässe. Auch das Publikum wandte sich zunehmend dem kommerziellen Kino, allen voran dem amerikanischen Blockbuster. Während dieser Zeit erschien Werner Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht, das den Dracula-Stoff von Bram Stoker mit deutlicher Referenz zum Stummfilmklassiker Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens neuerzählt, sowie mit Anspielungen an Ted Brownings Dracula. Mit Klaus Kinski in der Titelrolle.
Herzog differenziert seine Neuverfilmung deutlich zu seinem Stummfilm-Vorbild, bereits erkennbar anhand des Nebentitels. Der filmische Zweck des Erschreckens steht damit im Hintergrund. Vielmehr soll die Existenz des Grafens im Zentrum stehen, dessen Unsterblichkeit eine unstillbare Isolation bedingt, die im Kontrast zum naturromantischen Zeitgeist der Sterblichen steht. Nosferatu kann nicht im Moment leben. Die unendliche Verfügung von Momenten nimmt der Schönheit ihre Begrenztheit und damit ihren unersetzlichen Wert. Nicht unsonst porträtiert Herzog die faszinierenden Bergwelten rundum Jonathan Harker (Bruno Ganz) auf dem Weg zu Draculas Schloss. Schönheit und Tod könnten damit als Hauptthemen seines Filmes interpretiert werden.
Der Rhythmus von Herzogs Erzählart übt eine drübsinnige Melancholie aus, die besonders aus der bläulichen Farbgebung seiner Bilder hervorgeht. Kinski nutzt diese Lebensmüdigkeit grandios für seine Darstellung. Seine Dialogzeilen werden müde getragen, schleppend ausformuliert, als sei jegliches Lebenszeichen ein entrüsteter Versuch, geprägt von einer entrissenen Lebenskraft. Seine tote Gestalt bekommt dadurch einen überaus tragischen Beigeschmack, der seinen personifizierten Horror zu keiner Sekunde mildert. Ganz klar ist er das Goldstück des gesamten Filmes, das ebenso dank seines beeindruckend-erschreckenden Make-Ups und Kostüms den Erfolg des Filmerbnisses trägt. Das ist wichtig, denn der Gothic-Drama schwächelt an vielen anderen Stellen.
Festzuhalten ist das Schauspiel vom restlichen Cast: Bruno Ganz stellt sich leider als deplatziert heraus. Seine Darstellung ist ebenso unglaubwürdig, wie unausgewogen. Schuld daran hat gleichermaßen die teils unterirdische Bildgestaltung, die zu oft wie unkontrolliertes, abgefilmtes Theater aussieht. Damit sind auf keinen die grandios choreografierten und inszenierten statischen Einstellungen gemeint, sondern jegliche Handkamera-Sequenzen, die den Anspruch von Perspektive, Schnitt und Bildsprache komplett verwerfen und dem deutschen Film wiedermal jegliches Verständnis von Asthetik und Qualität absprechen, wie man es bis heute vorurteilend kennt. Überzeichnete Bewegungen und unterirdische Dialog-Performances werden zu fremdschämenden Szenen, die ihren Tiefpunkt mit jeder Präsenz von Roland Topor als Renfield erreichen.
Nosferatu – Phantom der Nacht ist ein überaus schizophrener Film geworden zwischen hohem Kunstverständnis und peinlicher Entblößung vom Nicht-Verständnis zwischen der Differenzierung von Theaterschauspiel und Leinwandpräsenz. Letzteres glänzt unbestreitbar in den statischen Bildern, doch dominiert leider nicht über den gesamten Film hinweg, weshalb das Fernsehfilm-Niveau mit B-Movie-Attitüden einen faden Beischmack innehält. Immerhin erleben wir Klaus Kinskis Darstellung als Meilenstein des deutschen Kinos. Undenkbar und unwünschbar wäre Herzogs Film ohne Kinski, dann wäre sein Horror-Remake vermutlich eine kleine Zumutung.
Empfehlenswert für Halloween, weil Kinskis Präsenz als Titelfigur noch immer einen Schauer über den Rücken jagt, dessen Melancholie und gleichermaßen Symbolik für die Pest eine tiefgehender Wirkung erzielt. Ein überaus nachdenklicher, trüber Film, der mit einem konseqenteren Verständnis von Kino-Schauspiel, Leindwandpräsenz, Schnitt und Perspektiven ein sehr guter Film hätte werden können.
Produktion, Drehbuch & Regie: Werner Herzog
Darsteller: Klaus Kinski, Bruno Ganz, Isabelle Adjani
Bildgestaltender Kameramann: Jörg Schmidt-Reitwein
Komponist: Popol Vuh
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 107 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1979
Budget: 2,5 Mio. DM
Box Office: unbekannt
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