Noch vor Öffne die Augen und The Others inszenierte der damals 23-jährige Regisseur, Drehbuchautor und Komponist Alejandro Amenábar seinen Low Budget-Debütfilm Tesis, ein Horror-Thriller über Darstellung von Gewalt, die Faszination von Snuffmovies und die sich auflösende Grenze von realem und fiktivem Horror.
Angela (Ana Torrent) arbeitet an einer Magisterarbeit zum Thema „Gewalt in Film“. Während ihrer Recherche inspiziert sie verschiedenste Snufffilme – bis sie in einem von denen eine vermisste Mitstudentin entdeckt, deren Folterung und Hinrichtung aufgezeichnet wurde. Angela beginnt zu vermuten, dass jemand von ihrer Universität mit den Filmen zu tun hat.
Amenábar nutzt eine simple, aber griffige Whodunit-Prämisse für ein interessantes Essay über gewaltverherrlichende Inhalte in Film und Video. Auch wenn es so aussieht, als fahre der Film im Windschatten der Scream-Teile, ist doch sehr beachtlich, dass Tesis im selben Jahr von Wes Cravens Slasher-Reihe erschienen ist. Immerhin arbeiten beide Filme auf der Metaebene mit den Mechanismen von Gewalt, auch wenn Scream einen deutlich größeren Fokus auf genrespezifische Klischees legt, wohingegen Tesis im Allgemeinen über Gewaltdarstellungen diskutiert.
Wie ein typisches Werk von Filmstudenten bedient sich auch Amenábar einer sehr simplen Dramaturgie und Storyentwicklung, während die thematische Sezierung die kreativste Gewichtung erhält. Nichtsdestotrotz sind auch hier schon erste interessante Inszenierungen zu entdecken, die Amenábar teils eins-zu-eins in späteren Werken wiederaufgegriffen hat, allen voran in The Others. Somit ist selbst eine Dialogpassage nahezu identisch auffindbar („My name is Anne, and I’m walking. I’m walking and my name is Anne“). Eine erste Handschrift ist damit bereits erkennbar, was der recht vorhersehbaren Handlung sehr entgegenkommt. Damit ist Tesis trotz seinen konventionellen Mechanismen und einer unnötig langen Spielzeit von 125 Minuten ein unterhaltsames Erstlingswerk, das besonders thematisch in den Bann zieht – sowie mit seinen zahlreichen Anekdoten an bestehenden Filmklassikern.
Empfehlenswert für Halloween, weil Amenábar mit seinem Debütfilm seine Stilsicherheit im Genrekino unter Beweis stellt, ehe er sechs Jahre später mit The Others einen Klassiker des Gruselkinos kreiert hat. Blutrüstig oder furchteinflößend ist Tesis nicht sonderlich. Vielmehr ist es seine schleichende, düstere Atmosphäre, für die der Horror-Thriller mitsamt seiner spannenden Thematik zu einem massentauglichen Filmabend einlädt – trotz seiner angedeuteten Härte.
Musik, Drehbuch & Regie: Alejandro Amenábar
Story: Alejandro Amenábar & Mateo Gil
Produktion: Emiliano Otegui, José Luis Cuerda
Darsteller: Ana Torrent, Fele Martínez, Eduardo Noriega
Bildgestaltender Kameramann: Hans Burmann
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 125 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1996
Budget: 721,214 EUR
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