Tatsächlich hat „The Revenant“ vieles zu bieten, um über ihn staunen zu können. Da gäbe es wahrlich fantastische Aufnahmen, die sich in natürlichem Licht schmücken, einen bebenden Score mit minimalistischer Melodie, beinharte Brutalität und ganz, ganz viel Dramatik. So lebt Iñárritu seine Ideen vollkommen aus. Trotzdem gibt es ein „leider“, denn der Filmemacher überschätzt sich in seinem Maße und wälzt jedes dieser Elemente aus, sodass eine zweieinhalbstündige Laufzeit keine Überraschung ist. Das Resultat ist ein in Esoterik getränkter Naturalismus, der sich zwischenzeitig in seinen eigenen Bildern verliert.
Die schauspielerischen Talente des Filmes bilden eine andere Kehrseite. Dabei ist hauptsächlich von Leonardo DiCaprio die Rede. Seine Performance (das Sabbern, Kriechen, Weinen, Grunzen, Frieren etc.) ist in dieser Art zu viel, um wohlmöglich nicht als Overacting bezeichnet zu werden. Doch bei all den Extremen, die ihm am laufenden Band wiederfahren, fehlt es seiner Figur an Seele und Charakter. Den anderen Figuren geht es ebenfalls so, die bis zum Ende hin kaum tastbar sind.
So sehen zumindest die Contras aus. Doch wer sich mit dem Naturalismus bereits befassen musste, weiß, dass Perspektivwechsel ein entscheidendes Thema ist. Kehrt man demnach die Kriterien um, zeigt „The Revenant“ die Erbarmungslosigkeit der Natur, zu der wir ebenfalls gehören. Barmherzigkeit, Rücksicht oder den Wert des Charakters gibt es nicht. Es gibt nur das Leben, das Überleben und das Sterben. Menschen werden kälter als die eisigen Temperaturen Nord Amerikas. All das findet sich in einem sinnesbeanspruchenden, western-artigen Showdown zusammen, der aufgrund seiner Größe gewaltig nachbebt.
„The Revenant“, der wegen seiner Thematik über Vergänglichkeit geradezu als Spätwestern verstanden werden kann, ist etwas noch nie dagewesenes. Seine Form, die tatsächlich unvergleichbaren Bilder und die Einsicht in den Zweck der Rache und die wahren Gesichter von überlebensringenden Menschen zeichnen diesen Neo-Naturalismus, besonders zu Zeiten der globalen Erwärmung, als Eintritt in eine neue Stilistik aus. Es ist einfach, ihn zu lieben und es ist leicht, seine Schwächen zu entlarven. Doch die Natur wurde noch nie zweidimensional wahrgenommen.
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