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The Substance

31 Days of Fright – Tag 3

von Robin Längert

Bereits 2017 zeigte uns die französische Autorenfilmerin Coralie Fergeat mit ihrem Exploitationfilm Revenge ihre Faszination für Körperlichkeiten und die Eskalation im literschweren Kunstblut. Ganze sechs Jahre später meldet sie sich mit dem feministischen Body-Horror The Substance zurück – und wurde dafür in Cannes mit einer Goldenen Palme geehrt für das Beste Drehbuch.

Die einst erfolgreiche Schauspielerin und Moderatorin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) kämpft in Hollywood kläglich um Relevanz. Ausgerechnet zu ihrem fünfzigsten Geburtstag lässt ihr Produzent Harvey (Dennis Quaid) sie als Host ihrer TV-Aerobicshow fallen. Das Publikum brauche ein junges Gesicht. Schließlich stößt Elisabeth auf die Existenz eines mysteriösen Programms namens The Substance. Damit sei ihr ein jüngerer Klon (Margaret Qualley) versprochen. Doch die Regeln des Programms müssen eingehalten werden, andererseits komme es zu gravierenden Nebenwirkungen. Elisabeth nimmt an dem Programm teil… und es kommt, wie es kommen muss.

Mit simplen, wirksamen Mitteln wandelt Fergeat ihre Heimatstadt Paris ins lichtbeflutete Los Angeles um und kreiert bereits damit die erste, beeindruckende Transformation. Auch der Cast vom Produzenten Harvey (eine gelungene Anspielung an den inhaftieren Hollywood-Produzenten Weinstein) unterlag unabdingbaren Veränderungen, nachdem Ray Liotta als ursprüngliche Besetzung im Jahre 2022 verstorben ist und Quaid als Neubesetzung einsprang. Eine beglückte Wahl, denn der Ekel, der von Quaids Perfomance in jeder Sekunde seiner Leinwandpräsenz beim Zuschauer provoziert wird, könnte kaum perfider sein. Allgemein genießt es Fergeat mit ihren unaufhaltsamen Extreme Close Ups bereits vor der Einführung des körperflüssigen Body-Horrors eine abstoßende Wirkung zu kreieren, die in ihren Überzeichnungen bereits bestens mit ihrer satirischen Ebene spielen. Dann kommt jedoch Sue ins Spiel, Elisabeths Klon gespielt von Andie MacDowells Tochter Margaret Qualley. Und ab diesem Punkt schlägt der fast zweieinhalbstündige Film jenen Weg ein, der nur noch eine einzige Richtung kennt: Nach vorne bis ins Extreme.

Fergeat weiß, was es bedeutet sich von Film mitreißen zu lassen. In ihr pocht das Herz einer leidenschaftlichen Cineasten. Und dieses Wissen darüber, was es bedeutet im Publikum zu sitzen und auf jede weitere Steigerung und Intensivierung zu hoffen, nutzt The Substance in seiner zweiten Hälfte jenseits jeder Vorstellungskraft. Es durften bereits viele Arten der Körperentstellungen gesehen werden im Kino, allen voran bei der Familie Cronenberg. Doch Fergeat schafft es tatsächlich, auch dieses Extrem zu übertrumpfen – ohne Kompromisse und mit einem solch asozialen Exzess, dass das Kino keine andere Wahl hat als zu jubeln, klatschen und lachen. Dabei nimmt Fergeat wirklich alles auf die Schippe: Männliche Projektionen auf weibliche Schönheitsideale, Geltungsdrang und die Sucht nach medialer Relevanz, verzerrte Selbstwahrnehmungen schönheitsoperierter Hollywood-Urgesteine, nur um letztlich auf den Punkt zu kommen, dass die letzten verruchten Jahre irrelevant gewordener Stars im Sande der Zeit verblassen, wenn einzig und allein deren Karrierehöhepunkte für die Ewigkeit bleiben, versinnbildlicht durch den Stern auf dem Walk of Fame.

Empfehlenswert für Halloween, weil Coralie Fergeats feministischer Body-Horror jede noch größere Eskalation nach der anderen jagt. Das macht enormen Spaß und ist der vermutlich grandioseste Crowdpleaser des Jahres. Wer noch ein halbwegs gefülltes Kino findet, sollte die nächste Vorstellung von The Substance nicht verpassen. Und ganz nebenbei: Noch nie wurde Bernard Herrmanns Vertigo-Score in einen absurderen, brillanteren Kontext benutzt als hier!

Drehbuch & Regie: Coralie Fargeat
Produktion: Coralie Fargeat, Tim Bevan, Eric Fellner
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Bildgestaltender Kameramann: Benjamin Kracun
Komponist: Raffertie
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 141 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 2024
Budget: 17,5 Mio. USD
Box Office: 13,4 Mio. USD (Stand: 02.10.2024)

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Mubi.

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