Das deutsche Kino wird Flügge, könnte man meinen. Abseits der klebrigen Masse von publikumswirksamen Filmen der üblichen Verdächtigen – über die hier an dieser Stelle kein Wort mehr verloren werden soll; wir wollen uns doch nicht zu sehr aufregen – finden sich am ausgefransten Rand der deutschen Filmlandschaft Perlen, die mit eindrucksvoller Entschlossenheit nach einer neuen, viel freieren Form streben, das eindrucksvollste Beispiel ist sicherlich Sebastian Schippers filmische Dynamitstange „Victoria“ (2015), aber auch Maren Ades „Toni Erdmann“ kann man zu dieser Kategorie rechnen; diese Mikro-Avantgarde zieht ihre Inspiration aus vielfältigen Quellen, allen voran dem früheren europäischen Kino und dem internationalen Genrefilm. Die Stoffe werden untypischer und riskanter, Regie und Kamera begreifen sich wieder als aktive Komponenten im filmischen Schaffensprozess und werden involvierter, die Narben des TV-Einflusses verblassen. Tiger Girl, der neueste Streich von Jakob Lass („Love Steaks“), erregte auf der diesjährigen Berlinale einiges an Aufmerksamkeit und wirkt zumindest oberflächlich wie ein weiterer solcher Filme, die das deutsche Kino nach und nach wieder öffnen.
Da wäre natürlich das oft erwähnte „Skelettbuch“, nachdem Lass seinen Film gestaltete, eine grobe Skizze der Handlung, nach der dann die Akteure ihre Dialoge und Handlungen improvisieren, und der „antiautoritäre“ Ansatz bei der Entstehung des Films, durch den jedes Crewmitglied eigene Anregungen einbringen durfte. Schön und gut. Doch in dieses Mini-Movement des frischen Windes im neueren deutschen Film lässt sich „Tiger Girl“ nur oberflächlich einordnen; vielmehr ist er als ein Symptom der Pubertät, der Flegeljahre des heimischen Kinos zu betrachten. Ein Pickel im Gesicht eines aufmüpfigen Jugendlichen sozusagen, der erstmal aus Prinzip gegen alles ist, rebelliert und um sich schlägt, ohne jeden Grund und intellektuelles Fundament. Beim Sehen nährt sich der Verdacht, ob Lass‘ Film nicht doch einem „Fack Ju Göthe“ nähersteht als einem „Nachtmahr“.
Sicher, diese große Freiheit – oder zumindest der Wunsch nach ihr – ist oft da, sei es in der Kameraarbeit oder in den kleinsten, manchmal wunderschönen Impro-Gesten der Schauspieler. Genannt sei die tolle Szene zu Beginn, in der Tiger (Ella Rumpf) eine Gruppe Pöbler mit dem Baseballschläger übel zurichtet. Untermalt ist das Ganze mit einem dynamischen Electro-Ennio Morricone-Zitat. Da reißt man euphorisiert die Augen auf, aber je weiter Tiger Girl voranschreitet, desto mehr verkommt das Experiment zum lächerlichen, exzessiven Selbst-Abfeiern. „Seht her, wir machen es anders“, ist die Devise dabei, was entsteht sind nervige Proll-Kinomomente, statt derber Intelligenz generische Asi-Heroisierung, die erzählerisch auch noch ausfranst.
Und so ist Tiger Girl eine unangenehme, weil enttäuschende Randerscheinung einer generell erfreulichen Entwicklung – und als solche eigentlich auch notwendig. Denn die Pubertät ist für Außenstehende sicher unangenehm und nicht schön anzusehen, aber sie gehört halt zum Erwachsenwerden dazu. Jakob Lass‘ Film – der ein weiterer Beweis dafür ist, dass der deutsche Genrefilm sein „Fight Club“-Trauma noch nicht überwunden hat – ist eine bloße Konsolidierungserscheinung. Gott sei Dank.
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