Michael Mann-Retrospektive #6
Man mag alle anderen Filme von Michael Mann noch so sehr lieben, aber sein Thriller-Drama von 1995 ist unbestreitbar sein bestes Werk. Und nicht nur das: Heat zählt zweifellos zu den besten Filmen aller Zeiten. Dafür gibt es eine Menge Gründe, die auf unterschiedliche Perspektiven beruhen.
Nachdem Mann die Heist-Geschichte bereits als Pilotfilm, Showdown in L.A., umgesetzt hat, durfte die erste Fingerübung an den Stoff mit ruhigem Gewissen scheitern. Diese Erfahrung mit dem Umgang der Dramaturgie ist für sein späteres Werk pures Gold wert, was man Heat zu jeder Sekunde anmerkt. Dabei interessiert sich Mann nicht für den Plot, welcher schlussendlich eine altbekannte Story über Jäger und Gejagten, Cop und Gangster ist. Aber auch über Gut und Böse? Eben nicht.
Manns Interesse ist den Charakteren gewidmet. Er kniet sich in jedes Individuum, versucht es zu verstehen, zu begründen, zu empfinden. Darum fokussiert er nicht nur seine beiden Weltstars Al Pacino und Robert De Niro, sondern ebenso deren äußerlichen Einflüsse auf ihr Handeln. So entsteht u.a. ein höchst bewegender Sub-Plot um einen Ex-Sträfling auf Bewährung, der aufgrund seines Vorurteile verursachenden Strafregisters keinen Anschluss an die rechtsgesittete Gesellschaft findet. Die vielen anderen, greifbaren Begebenheiten aufzuzählen wäre jetzt sinnlos. Dafür ist schließlich der Film selbst da, um jeden Charakter und Handlungsstrang für sich zu entdecken. Doch ist es nicht nur die Authentizität jeder Figur, durch diese sich der Film jeder Schematisierung entzieht; sondern ist es die Masse jener authentischen Charakteren. Erst dadurch schafft Heat eine mitreißende Realität.
Wir sehen knapp drei Stunden lang dabei zu, wie Neil (De Niro) versucht, mit seinen Leuten einen Bankraub zu planen, durchzuführen und letztlich zu fliehen, während Vincent (Pacino) versucht ihm ein einziges, notwendiges Mal einen Schritt voraus zu sein. Beide sind unverbesserliche Profis in ihrem Gebiet. Beide verfolgen mit Leib und Seele ihr Ziel. Und beide sind sich in ihrer Art, Egozentrik und Hartnäckigkeit so ähnlich, dass man denken könnte, sie würden in einem anderen Leben, wo beide auf der gleichen Seite stehen, wie Brüder sein. So haben auch ihre Privatleben Parallelen, wo ihnen die Freundin oder Frau die herzliche, warme Komponente in ihrem Leben gibt und ihnen damit zeitgleich bei der Umsetzung ihrer Ziele im Weg steht. Am Ende entscheidet es sich schließlich, welches Ziel diese Wärme fortsetzen kann und welches in Kälte verwest. Dass es nur diese Entweder-Oder-Möglichkeit gibt, trotz der ungehemmten Beleuchtung beider Charaktere, durch diese sie für den Zuschauer wie nackt erscheinen, eben auch gleichgestellt von jener Wertung, definiert die gesamte Dramaturgie dieses Donnerschlages von Film.
Selbstverständlich kann man neben diesen eher auf dem Drehbuch basierenden Punkten auch auf die Umsetzung eingehen; Wie Pacino seine Figur als Kokainsüchtigen interpretiert; Dass erstmals echte, furchteinflößende Waffenschussgeräusche benutzt wurden; Wie beeindruckend-ausgeglichen dieses Epos geschnitten ist; Wie wellenschlagend die Wirkung des Endes ist in all ihrer audiovisuellen, ausgereiften Perfektion; Wie zivilisiert und respektvoll die erste und letzte Begegnung zweier solch gewaltvertrauten Protagonisten ist. Das alles könnte noch mit Vollblut vertieft werden, aber ich belasse es lieber dabei und gönne ebenso jedem selbst seine eigene Vertrautheit mit Heat. Letztendlich ist es nicht möglich Michael Manns Formvollendung retrospektiv zu bewerten, da sein Heist-Action-Thriller-Krimi-Drama wohl nie altern wird. [Autor: Robin]
Wenn ihr Filmfans nach dem besten Heist-Film aller Zeiten fragt, solltet ihr euch nicht wundern, wenn nahezu jeder Michael Manns Meisterwerk als diesen tituliert. Heat stellt nicht nur den Zenit seiner bisherigen Filmografie dar, sondern prägte das gesamte Thrillerkino nachhaltig, indem er die Gewohnheiten des Blockbusters revolutionierte. 170 Minuten Laufzeit bringt Heat auf um Geschichte zu erzählen. Kein stumpfes Abklappern von pseudocleveren Scheinmotiven, keine Holzhammermotivationen der Darsteller und deren oberflächliche Charakterisierung um den Zuschauer zu manipulieren, keine sinnlose Aneinanderreihung von Action um den Zuschauer bei Laune zu halten. Heat ist entfesseltes, brillant geschriebenes und inszeniertes Thrillerkino, wie es nur Mann hätte inszenieren können!
„Don’t let yourself get attached to anything you are not willing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner.
Heat ist geballter Nervenkitzel in einem simplen Spiel von Gut gegen Böse. Doch anstatt sich filmisch und narrativ auf dieses Minimum herunterzubrechen, inszeniert Michael Mann seinen Film als angetriebenes Charakterdrama, bei dem Moral und Gerechtigkeit als ambivalente Auseinandersetzung mit den eigenen Selbst diskutiert wird. Das Gute, getrieben als exekutive Gewalt eines Staates mit dem Gerechtigkeitssinn der eingetrichterten Ansichten von Lehrbüchern. Das Böse, angetrieben durch menschlichen Zweifel und Frustration. Und genau dort zeigt sich Heat unparteiisch und legt fest, dass es kein Gut und Böse gibt. Es gibt gescheiterte Helden, verkorkste Leben und unverdauute Tiefschläge die die Handlungen erden. Ein Mensch ist kein schlechter Mensch nur weil er, in anderen Ansichten, schlechte Dinge tut. In einer der besten Filmszenen aller Zeiten (Diner), pumpt sich dieser Ausnahmefilm jedoch bis zum Maximum auf, um in den letzten 90 Minuten die Ketten zu sprengen.
Heat ist pulsierendes Kino, von der ersten Einstellung bis zum letzten Schriftzug im Abspann. Eine Abfolge unvergesslicher Momente, die die Vielfalt des Kinos in all ihrer Tragik, in der überwältigenden Menge an Gefühl und unaushaltbarer Spannung veranschaulichen. Hier findet filmische Perfektion statt. Jedes Bild stellt ein Kunstwerk dar, der Shootout auf den Straßen von Los Angeles ist eine der besten und intensivsten Actionszenen aller Zeiten und nebenbei spielen sich Pacino und De Niro die Seele aus dem Leib. Das Thrillerkino wird nie wieder ein solch monumentales Werk erleben und wir erst recht nicht. Und es grenzt keinesfalls an eine unglaubwürdige Aussage, wenn ich sage, dass Heat ganz weit oben in der Top 10 der besten Filme aller Zeiten steht. [Autor: Sean]
Als „Heat“ 1995 in den Äther der Filmgeschichte gejagt wurde, reifte er im Laufe der folgenden Jahre zum Kultfilm heran; für viele – mich eingeschlossen – war es, als hätte Michael Mann mit seinem Heist-Drama als Geschichte zweier sich bekämpfender, doch gar nicht so verschiedener Männer eine Tür im Geiste aufgestoßen. Mit seiner extensiven Laufzeit von beinah drei Stunden, die sich jedoch aufgrund des geduldig-packenden, auf jegliche ermüdenden Genrevignetten verzichtenden Erzählstil nur halb so lang anfühlen und besonders durch seine ganz eigene Thrillerspielart eines Cinéma-vérité-Gefühls überschwappt einen beim ersten Sehen, vielmehr Erfahren dieses Films der Gedanke, Thrillerkino selten so ungefiltert, so direkt und, wie mein Vorredner schrieb, pulsierend erlebt zu haben wie in „Heat“, in jener Konfrontation der beiden Giganten Pacino und De Niro, mit den so satten, brachialen Schussgeräuschen und seiner kühlen Bebilderung, die wie ein unbarmherziger Windstoß durch die Augen direkt auf den Frontallappen prallt.
„Heat“ ist ohne jeglichen Zweifel der Höhepunkt des filmischen Schaffens Michael Manns, der beinah alle seine vorangegangenen Werke verdeckte und als Maßstab herhalten musste für alles kommende – so hat „Heat“ Manns Karriere vielleicht mehr geschadet als genützt. Nichtsdestotrotz ist „Heat“ der Kristallisationspunkt seines Filmemachens, Ende eines Findungsprozesses seit Beginn seiner Tätigkeit, Manns thematisches Auf-den-Hund-kommen: die kalte Urbanität als Kulisse eines nihilistisch angehauchten, moralischen Kampfes. Doch so trist das auch klingt – und hier offenbart sich der Grund für die große Faszination, die Manns Werk ausübt, die Essenz seiner filmischen Meisterschaft -, gelingt Mann mit „Heat“ doch die Synthese hin zu einer großen Musikalität sowohl in der Poesie einzelner Szenen, als auch in der Untermalung einzelner Sequenzen mit einem grandiosen Soundrack.
Jene Szene, direkt vorm legendären Diner-Moment, in der Hanna McCauley nachts auf dem City-Highway verfolgt und Mobys Cover von Joy Divisions „New Dawn Fades“ spielt, über die perfekt geschnittenen Bilder, das ist einfach: Vollendung. [Autor: Victor]
Alle Infos obliegen dem Verleih ©20th Century Fox.