Bug

31 Days of Fright – Tag 16

von Robin Längert

William Friedkin hasst Genre-Einteilungen. Schon bei seinem Oscar-preisgekrönten Welthit Der Exorzist verweigerte er in Interviews stets eine bloße Zuordnung zum Horrorgenre. Ebenso vertritt er bei seinem Psycho-Thriller-Horror-Drama von 2006 einen ganz eigensinnigen Standpunkt. Bug sei „in vielerlei Hinsicht eine schwarzhumorige Liebesgeschichte.“

Wer glaubt, Friedkins Oeuvre zu kennen aufgrund seinen Klassikern aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, sollte dringend einen Blick auf sein Spätwerk werfen. Denn im 21. Jahrhundert entstanden noch weitere fünf Filme bis zu seinem Tod letztes Jahr im August. Fünf Filme, die ästhetisch deutlich von seiner Zeit als Regisseur renommierter TV-Serien der Achtziger- und Neunzigerjahre geprägt sind, oder um sie namentlich zu nennen: Rules – Sekunden der Entscheidung, Die Stunde des Jägers, Bug, Killer Joe und Die Caine-Meuterei vor Gericht. Oft Kammerspiele, oft Psychogramme verstörter Figuren, oft kritisch gegenüber militärischen Systemen und Systemkritikern gleichermaßen. Doch vor allem sind sie eins: Völlig unterschätzt und zweifellos einzigartig.

Das Kammerspiel Bug, welches auf das gleichnamige Theaterstück basiert, ist wohlmöglich der beste, wenngleich auch radikalste Repräsentant aus jener Ära. Wie oben bereits erwähnt, empfand Friedkin eine tiefe Abneigung gegenüber Genrezuordnungen. Seine Äußerungen zu Bug lauteten wie folgt: „It’s not a genre film, but marketing works in mysterious ways. They have to find a genre for it. ‚This is a comedy. This is a melodrama. This is a love story. This is a horror film. This is an adventure film.‘ Bug doesn’t fit easily into any of those categories.“ Und das stimmt zweifellos.

In Bug wird die alkoholabhängige Barkeeperin Agnes (Ashley Judd) von ihrem aus der Haft entlassenden Ex-Freund Jerry (Harry Connick junior) heimgesucht, missbraucht und bedroht. Seine Präsenz retraumatisiert die labile Frau zutiefst, ehe der Fremde Peter (Michael Shannon) in ihr Leben tritt. Ein mysteriöser, introvertierter Mann, der mit Paranoia zu kämpfen hat. Er berichtet Agnes von US-militärischen Experimenten, denen er während seiner Zeit bei der Army zu Opfer gefallen ist. Ihm seien Käfer und Wanzen ins Blut implantiert worden, die Informationen an das Militär senden. Agnes versucht ihm zu helfen. Und wird bald selbst Zeuge jener Wanzen.

Wie Bug mit dem Unwissen des Zuschauers spielt und seinen unvorhersehbaren Charakterentwicklungen, gleicht einem Wunder. Lange spielt der Film subtil und zeitspielend mit der Frage nach der Wahrheit und Realität, nach der Grenze zwischen Fakten und Verschwörungstheorien, ehe Friedkin in seinem letzten Drittel sämtliche Reißleinen zieht und seinen wahren Kern grenzüberschreitend entarten lässt. Somit ist der Film tatsächlich kein Horrorfilm im klassischen Sinne, dennoch ein äußerst perfider, zurückhaltender psychologischer Horror-Thriller, der die Geduld des Zuschauers austestet und jene belohnt, die sich mit voller Konzentration seinen Figuren hingeben. Denn erst dann (und vor allem dann) entfaltet sich der wahre Horror – so intensiv und nachhaltig, dass Bug mit zeitlichem Abstand eine umso erschütterndere, nachträgliche Wirkung ausübt. Dass sich Friedkin dabei dem Spiel mit der Lächerlichkeit seiner Figuren vollkommen bewusst ist, macht Bug zu einer noch außergewöhnlicheren Seherfahrung. Denn gerade die Momente, in denen die Figuren ihre Seriosität verlieren, ihre verrissene Psyche mit verschrobenen Dialogen offenbaren, geht der schwarze Humor Hand in Hand mit seinen verstörenden Abgründen. Egal, wie viel Spaß Friedkin bei jeglicher Absurdität gehabt haben muss, eine beeindruckende Sache bleibt stetig: Er nimmt seine Figuren bis zum bitteren Ende ernst.

Empfehlenswert für Halloween, weil Bug innerhalb Friedkins polarisierender und kontroverser Filmografie definitiv sein radikalstes Werk ist. Ein schleichend-perfides Horror-Psychogramm, dass ebenso zum Lachen, als auch zum Verstören einlädt. Tipp: Seht euch den Film mit Die Stunde des Jägers im Anschluss in einem Friedkin-Double Feature an. Besser kann ein Abend nicht mehr werden!

Regie: William Friedkin
Drehbuch: Tracy Letts (nach seinem gleichnamigen Theaterstück)
Produktion: Kimberly C. Anderson, Michael Burns, Gary Huckabay, Malcolm Petal, Andreas Schardt, Holly Wiersma
Darsteller: Ashley Judd, Michael Shannon, Lynn Collins, Harry Connick Jr.
Bildgestaltender Kameramann: Michael Grady
Komponist: Brian Tyler
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 102 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 2006
Budget: 4 Mio. USD
Box Office: 8,2 Mio. USD

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Ascot Elite Home Entertainment GmbH.

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