Mit seinem Langfilmdebüt Heute oder morgen (Internationaler Titel: Before We Grow Old) schaffte es Regisseur Thomas Moritz Helm dieses Jahr in die Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale. Trotz seines spärlichen und starlosen Auftretens sollte dieses Coming of Age-Drama für Erwachsene keinesfalls ungesehen bleiben.
Es ist Sommer in Berlin. Das sexuell offen lebende Pärchen Maria und Niels zieht für die warmen Monate über in eine wunderschöne Dachgeschosswohnung, in der sie sich und ihre Bedürfnisse voll und ganz ausleben können. Das Duo erweitert sich schließlich um ein Glied, welches die britische Studentin Chloë ist. Schnell schleichen sich jedoch Eifersucht und Egozentrik in den Raum, welche die himmlische Atmosphäre bedrohen könnten.
Der Plot handelt über eine klassische Dreiecksbeziehung, wie man sie aus vielen anderen Geschichten kennt. Doch das sollte nicht stören. Wie so viele andere Liebesdramen, besonders jene, die im Sommer spielen, lebt Heute oder morgen von einem Lebensgefühl. Den Film dabei als Berlinfilm zu betiteln wäre nur halbrichtig. Helm verweigert sich nämlich dem Ergötzen aller Sehenswürdigkeiten und bleibt ganz nah bei seinen Figuren, in der Wohnung und im Kiez. Das heißt jedoch nicht, dass der Film zu sperrig in seinen Auslebungen ist. Hier werden im vollen Maße das Leben und seine Weitläufigkeit zelebriert – und das, trotz der Verweigerung einer Sightseeingtour, mit starkem Berliner Charme.
Das Spannende beim Sehen von Heute oder morgen ist seine antäuschende Freiläufigkeit. Es ist, als würde Helm die verführerischsten Fantasien ausleben und trotzdem nie die Emotionalität seiner Charaktere falsch einschätzen. Somit spekuliert man als Zuschauer, woran es letztlich scheitern könnte, ehe die Geschichte trotz aller Zweifel immer wieder den rosigen Weg findet. Das ist ebenso wohltuend wie provokant und funktioniert besonders wegen seiner ständigen Offenheit so gut. Zwar erscheinen manche Szenen etwas zu gutmeinend gedacht, womit sie etwas an Glaubwürdigkeit verlieren, doch finden sich zu jenen Momenten immer filmische Antworten, die nichts unberührt lassen.
Helms Liebesdrama reiht sich nahtlos in eine aktuelle Reihe rastloser Sommermärchen ein, zu der bereits American Honey, Call Me By Your Name und The Florida Project gehören. Allesamt haben sie, wie auch hier, zutiefst überzeugende Hauptdarsteller, mit denen das gesamte Gefühl steht und fällt. Somit schafft Heute oder morgen mit seinem wunderbaren Schauspiel-Trio (Paula Knüpling, Maximilian Hildebrandt und Tala Gouveia) emotionale Charakterbindungen, bei denen keiner an Glaubwürdigkeit verliert. Das sei gleichermaßen dem Drehbuch zu verdanken, das, nach eigenen Aussagen von Helm, keine Improvisationen zuließ.
Heute oder morgen sollte mit aller Hoffnung eine Kinoauswertung bekommen, denn es ist eine absolute Wohlfahrt zu sehen, dass das deutsche Kino hier nicht wiedermal lieblos erzählen, sondern hochemotional empfunden werden möchte. Thomas Moritz Helm ist ein vielversprechender Newcomer und weißt mit seinem Spielfilmdebüt ein echtes Lebensgefühl auf, wie es nur der Sommer selbst kennt.
UPDATE: Heute oder morgen startet am 19. September 2019 mit einer FSK 16-Freigabe in den deutschen Kinos.
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