Clint Eastwood Retrospektive #12
Clint Eastwood wurde – und wird – immer wieder vorgeworfen, ein verkappter Propagandafilmer zu sein, dessen Filme eine fragwürdige US-amerikanische Ideologie verkörpern und verbreiten. Heartbreak Ridge ist nicht gerade ein Film, der diese (falschen, weil verallgemeinernden) Behauptungen entkräften kann, nein, er ist sogar Wasser auf die Mühlen der Eastwood-Gegner und zugegebenermaßen auch ein eher schwacher Eintrag in seiner gigantischen Filmographie. Nichtsdestotrotz lassen sich bei unvoreingenommener Betrachtung diese Details, diese beinah zärtlichen Kleinigkeiten ausmachen, die Eastwoods Œuvre für viele zu einem echten amerikanischen Kino-Vermächtnis machen, wenn auch in diesem speziellen Fall der Rahmen nicht ganz stimmen mag.
Gunnery Sergeant Tom Highway (Eastwood persönlich) hat sie alle gesehen: Die erbitterten Schlachten des Koreakrieges, den Dschungel von Vietnam, und alles dazwischen; er ist ein „Null-Eins-Einser“, soll heißen: Kein Sieg, einmal Unentschieden (Korea), einmal verloren (Vietnam). Ein lebendes Fossil. Aber noch nicht müde. Er erreicht die Versetzung zurück in seine alte Einheit bei den Marines, die er als Ausbilder auf Vordermann bringen soll. Als er ankommt, sieht er sich nicht nur mit einer unwilligen und faulen Truppe junger Hitzköpfe konfrontiert, die mit Disziplin der alten Schule wenig am Hut haben, sondern begegnet auch alten Freunden und: seiner Exfrau. Es gilt, nicht nur die alten Ideale der Marines wieder zu lehren, sondern auch einige persönliche Altlasten zu bereinigen. Natürlich begleitet von den typischen schlagfertigen One-Linern, die teilweise wirklich an Genialität grenzen.
Eastwood verquickt in seiner zwölften Regiearbeit zwei Hauptmotive. Zum einen natürlich das bekannte Bild des militärischen Ausbilders oder vielmehr der Ausbildung an sich, das es erlaubt, einen Kriegsfilm noch vor dem Krieg ablaufen zu lassen. Doch Highway ist kein kubrick’scher Sergeant Hartman, er ist kein zynischer, tyrannischer (und letztlich vor allem nihilistischer) Faschist, der den psychologischen Terror des Krieges antizipiert. Er ist eine ausgeleuchtete Figur, die vor allem durch ihre Ideale geleitet wird, auch wenn das nur selten zur Sprache kommt. Entsprechend harmloser gestaltet sich die Ausbildung, Disziplinierung und Umformung zur eingeschworenen Gemeinschaft sind vielmehr Erziehung als raues Abschleifen und purer Terror. Nur schlüssig ist es, dass die fast jugendlichen Frivolitäten „seiner“ Einheit viel Raum einnehmen, die von Rebellion zu Verbrüderung werden. Leider nerven diese Frivolitäten auch; hier sei besonders auf die schmerzhaft 80er-typische und klischeehafte Figur des Corporal „Stich“ Jones hingewiesen, die ein weiteres Mal den hysterischen Schwarzen markieren darf. Einige kritische Statements zum Militär an sich finden sich in Heartbreak Ridge nicht, dies ist kein antimilitaristischer Film, wie vielleicht die Credits zu Beginn vermuten lassen. Man darf aber auch nicht den Fehler machen, einen Film, dessen inhaltlicher Schwerpunkt beim Militär liegt, danach zu beurteilen, wie viele politisch korrekte Subtexte er dazu anzubieten hat.
Denn das zweite Motiv – und auch das, welches Eastwood als großer Filmemacher sicher besser kennt und schätzt – ist das des „Lonesome American Man“, das eine der wichtigsten Verbindungslinien in Eastwoods riesigem Werk darstellt. Sein Tom Highway (man beachte den sprechenden Namen, der Highway ist ebenso ein uramerikanischer Mythos) in Heartbreak Ridge ist keine Ausnahme. Er ist einmal mehr der Mann, der in seiner Heimat, sei sie nun räumlich, beruflich, weltanschaulich oder familiär, auf die Probe gestellt wird und seine Ideale an der realen, sich verändernden Welt prüfen muss. Es geht den Eastwood’schen Protagonisten, die zwischen Held und Antiheld oszillieren, um die Suche nach Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, oder auch einfach um Gnade, um Erlösung oder um die profane Liebe. Genau diese ambivalente und daher differenzierte Anlage seiner Figuren, die Eastwood mit großer Empathie zeigt und spielt, macht seine Filme so interessant, denn sie verhandeln den Wert der Ehrlichkeit – oder von Idealen an sich – in der Unsicherheit des Wandels. Wenn ein Filmemacher die keinesfalls pejorativ gemeinte Bezeichnung konservativ verdient, ist es Clint Eastwood.
Sicher, man kann Heartbreak Ridge auslassen und getrost vergessen, wenn es um Eastwoods beste Filme geht, denn die Szenen bei der Truppe sind manchmal einfach nervtötend und das nicht gerade ansprechend inszenierte, abstehende Ende ist nicht nur überflüssig und macht den Film deutlich zu lang, sondern grenzt teilweise wirklich an Verherrlichung; das muss nicht sein. Wer aber Clint Eastwoods Werk in seiner Gesamtheit betrachtet – und das machen wir hier in dieser Retrospektive -, für den wird „Heartbreak Ridge“ sehr aufschlussreich sein, der wird auch die obskur konfliktlose Handlung durchstehen und Erkenntnisse gewinnen. Ein weiteres Mal wird klar, dass den Altmeister Ideologien und diese oberflächliche Welt des Militärs eigentlich gar nicht interessieren und nur einengende Korsette darstellen.
So und nicht anders entstehen die absolut wundervollsten Szenen in Heartbreak Ridge: Tom Highway und seine Exfrau, gespielt von der tollen Marsha Mason, die leider immer in der zweiten Reihe bleiben musste, nähern sich nach der Trennung wieder langsam an. Der Grund der Scheidung wird bloß angedeutet, wahrscheinlich lag es an der Belastung der Beziehung durch seine dauernde berufsbedingte Abwesenheit. Er besucht sie eines Nachts mit einem Sixpack und möchte sich unterhalten. Die beiden reden über die alten Zeiten und merken wohl bald, dass die alte Chemie noch da ist, immer da sein wird. Auch wenn die Szene im Streit mündet, werden zärtliche Blicke gewechselt und schüchterne, aber doch vertraute Berührungen ausgetauscht. In diesen Bildern liegt in Eastwoods Gesicht, in dieser so oft als steinhart misanthrop verschrienen Mine eine unglaubliche Romantik. Vielleicht wollte er immer nur das.
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