Als der Trailer zu Becky veröffentlicht wurde, ging das gesamte Internet steil, als es Kevin James abseits seiner Komödienrollen sah, in der er sonst als moppeliger Schussel von einem Fettnäpfchen ins andere wandert. Seine Gestalt als wütender Neonazi wirkte in den Primo-Bildern bereits wie eine Urgewalt, wobei auch die Geschichte äußerst saftig klang. Becky ist mit ihrem Vater und dessen neuer Freundin auf dem Landhaus, bis eine Gruppe geflüchteter Gefängnisinsassen in das bescheidene Idyll einfallen. Sie haben jedoch nicht damit gerechnet, dass Becky eigentlich ein extrem diabolischer Soziopath ist.
Wer jetzt Lust auf diese Geschichte bekommen hat, dem sei bereits gesagt, dass die gesamte Idee nahezu 1:1 geklaut wurde von einem kleinen Indiefilm namens Aggression Scale, der im Jahr 2012 sogar in Deutschland erschien. Besonders große Publicity hat dieser nie bekommen, was schade ist, da er trotz geringen Budget recht großen Spaß machte und durch seine schnörkellose Gewaltdarstellungen konsequent bis zum Ende durchgezogen wurde. Einen direkten Vergleich muss sich Becky jetzt also in jeder Hinsicht stellen.
Das Gerüst des Home Invasion Filmes gibt seit Ewigkeiten und auch hier wird sich mit an dem Aufbau ausgelassen. Eingepackt in eine Rahmenhandlung, in der Becky im Polizeipräsidium hockt und die Geschichte erzählt, legt das Regieduo recht schnell fest, in welchem Tempo der Film erzählt werden soll. Wer jetzt auf einen geradlinigen Thriller gehofft hat, wird indes bitter enttäuscht. Denn bis hier der erste Tropfen Blut fließt vergeht eine ganze Weile. Stattdessen gibt es ausbremsende Flashbacks auf Beckys glückliches Familienidyll bevor ihre Mutter gestorben ist oder Expositionsdialog. Parallel dazu wird zu Kevin James und seiner Gruppe gestoßen, die während des Transports in ein Gefängnis ausbrechen.
Tonal wird allerdings da auch klar gemacht in welche Richtung es geht. An allen Ecken blitzt hier Nihilismus auf, wenn das erste was passiert der Überfall auf eine Familie in einem Auto ist, bei dem durch Tonverlegung selbst die Kinder im Off einen furchtbaren Todesschrei herauslassen. Gott sei Dank ändert sich das alles, wenn die Eskalation endlich passiert. Davor müsst ihr euch jedoch durch zähe Dialoge kämpfen und Klischees die wenig Spaß bereiten. Mit dem Eintreffen des Neonazis kommt dann endlich Fahrt auf.
Kevin James, der viel gelobt wurde, ist hier eine gute Bedrohung auch wenn man einen Quervergleich zum beeindruckend guten Green Room ziehen muss, der seinen diabolischen Antagonisten Patrick Stewart erst zu einem Schrecken machte, indem er eine Ruhe ausstrahlte während er Gräueltaten ausführte und vertuschte. Kevin James ist in Becky ähnlich ruhig, doch scheut sich nicht davor eruptiv in Hass zu verfallen und Gewalttaten zu verüben. Und wenn Becky sich endlich zur Wehr setzt erinnert das an Kevin allein zu Haus.
Nicht weil es besonders komisch ist, sondern sich die Widersacher durch Fallen schlagen müssen die jedoch weitaus böser sind als Spielzeugautos auf Teppiche zu legen. Diese Momente des Blutbergießens sind jedoch nuanciert ausgeführt und schlagen dermaßen in die Magengrube, dass eine Freigabe in ungeschnittener Form besonders in einer Szene mit einem Auge, für Verwunderung sorgt. Da solche Momente rar gesät sind, gehen wir nicht explizit auf diese ein. Nur so viel: Die Gewalt ist wirklich viehisch und in seiner Selbstjustiz extrem in die Fresse. Da bekommt wirklich jeder was er verdient, wenn Lulu Wilson erneut zeigt, dass sie wohl einer der großen weiblichen Stars der Zukunft ist. Dort entfaltet sich der Film endlich als ruppiger Thriller der seine Spannungskurve bis zum Finale anzieht.
Becky verbaut sich sein Potenzial also selbst etwas durch den Einsatz von Flashbacks und einer zu langen Exposition, welche trotz vergeblicher Versuche keine Dramatik hinzufügen, aber wird aber der Hälfte kontinuierlich besser. Dass sich hier kein Spaßfilm versteckt sondern ein ernstzunehmender Thriller, sollte jedem da bewusst sein. Wer damit kein Problem hat darf sich auf einen spannenden, extrem gewalttätigen und gut gespielten Thriller freuen, der garantiert dafür sorgt, dass man Kevin James in Kindsköpfe und Co. aus einem ganz anderen Licht betrachtet.
Empfehlenswert für Halloween weil: man sich nicht immer gruseln muss. Als Thriller mit steigender Bedrohungskulisse sorgt Becky für Bilder die in Erinnerung bleiben und ein unangenehmes Gefühl in den Bauch zaubern. Und da die Gewalteinlagen in ihrer Form auch für Schrecken sorgen passt das wunderbar zum Motto des 31. Oktobers.
Regie: Damien LeVeck
Drehbuch: Damien LeVeck, Aaron Horwitz
Darsteller: Ryan Guzman, Kyle Gallner, Alix Angelis
Score Composer: Julie Beavan, Sean Beavan
Cinematographer: Jean-Philippe Bernier
Altersfreigabe: 18
Lauflänge: 94 Minuten
Budget: Unbekannt
Box-Office: Unbekannt
Die Bildrechte obliegen dem Verleih ©Splendid Film