Paul Verhoeven – primär bekannt durch Filme wie „Starship Troopers“, „Basic Instinct“ und „RoboCop“. Auffallend und international berühmt wurde er in erster Linie durch seine Darstellung von Gewalt und Frauen, was ihm viel Kritik einbrachte. Doch bestehen Verhoevens Filme wirklich nur aus Sex und Gewalt?
Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt. Doch um die Antwort finden zu können, ist der einzige Weg eine Reise zurück in die Zeit vor 1987, dem Jahr, in dem sein Film „RoboCop“ ihn mit einem Schlag international bekannt machte, in die frühe Verhoeven-Ära, deren Filme (völlig ungerechtfertigt) in Vergessenheit geraten sind. Die spannende Frage ist nun also: was macht eigentlich die Filme aus, die in seiner Heimat, den Niederlanden, lange vor 1987 entstanden? Und wie unterscheiden sich die Filme, die weniger Bekanntheit erlangten von den großen Produktionen aus Amerika?
Dafür blicken wir in das Jahr 1973 zurück. Paul Verhoeven veröffentlichte seinen ersten Film, „Türkische Früchte“ mit dem späteren Hollywoodstar Rutger Hauer in der Hauptrolle. Schon mit diesem Frühwerk sorgte der junge Niederländer aufgrund der Thematiken und insbesondere der expliziten sexuellen Thematiken für großen Aufruhr. Frauenfeindlichkeit, Zelebrieren von Gewalt und einem ekelhaften Hauptdarsteller warf das Publikum dem Werk vor. Den eigentlichen Wert des Filmes schienen die wenigsten wirklich zu erkennen. Doch Verhoeven ließ sich dadurch nicht einschüchtern, und veröffentlichte über die nächsten Jahre verteilt diverse weitere, kontroverse Filme, die sich qualitativ allesamt im obersten Bereich befinden. Aber was genau hat es nun eigentlich mit diesen, aus heutiger Sicht größtenteils als Meisterwerke geltenden Filmen auf sich? Werfen wir nun einmal einen genaueren analytischen Blick auf das Gesamtwerk von Paul Verhoeven.
Die zentrale Position der Träume
In Verhoevens Filmen spielt der Traum, ob ein individueller oder gesellschaftlicher stets eine große, zentrale Rolle. Ob dieser wie in „Total Recall“ individuell, wie in „RoboCop“ gesellschaftlich veranlagt ist oder eben wie in „Spetters“ den Wunsch einer ganzen Generation repräsentiert; der Traum ist für Verhoeven so etwas wie ein Sprungbrett, auf dem seine Filme aufgebaut sind. Tatsächlich findet man, insofern man genauer hinschaut, in nahezu jedem seiner Filme einen Protagonisten mit einem Traum – sei es nun ein individueller oder ein gesellschaftlicher. Doch trotz der Häufigkeit des zentralen Traumes verfügen Verhoevens Filme über ein breites Spektrum derer. In „Total Recall“ beispielsweise dient dieser als Form des Eskapismus aus einem langweiligen, öden Daseins hinein in ein Abenteuer auf dem roten Planeten. In „RoboCop“ wird der Traum in Form des Strebens nach Perfektion und totaler Kontrolle ausgedrückt. In „Spetters“ geht Verhoeven sogar noch einen Schritt weiter, und stellt das Nacheifern von Idolen einer ganzen Generation auf drastische, kontroverse Art und Weise dar. Doch all diese Träume haben eine Gemeinsamkeit; sie lösen sich nach und nach in Luft auf. Die Akteure und Charaktere werden im Laufe des Filmes aus ihrem Traum zurück in die Realität gerissen – wie die einzelnen Figuren dies aufnehmen und verkraften ist ebenfalls stets verschieden, und führt in den drastischsten Fällen zu einem bösen Ende. Verhoeven zerlegt die Träume der Individuen und der Gesellschaft feinsäuberlich und bis ins kleinste Detail und macht sich satirisch über die naiven Weltanschauungen derer lustig, insbesondere über die Wünsche, so zu sein wie ihre Idole.
Aufwachsen, Heranreifen und Selbstfindung
Das Heranwachsen ist, wie schon der Traum, in Verhoevens frühen Werken omnipräsent, auch hier in individueller Form wie in „Türkische Früchte“, aber auch im gesellschaftlichen Sinne wie in „Spetters“ oder dem Kriegsdrama „Der Soldat von Oranien“. Verhoeven stellt junge Erwachsene und deren Reifeprozess dar. Meist durchlaufen sie während des Filmes die Entwicklung vom abenteuerlustigen Halbstarken zum erwachsenen Mann. Häufig ist für diese Veränderung die zuvor unbekannte Position in der Gesellschaft verantwortlich, doch nach und nach schaffen die Protagonisten durch Bekanntschaften und schlüsselhafte Ereignisse sich selbst und ihren Platz zu finden. Das Entdecken von Leidenschaften abseits der Zerstörungswut und des sexuellen Verlangens spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Art, wie Verhoeven diesen Prozess der Selbstfindung in Szene setzt ist dabei besonders interessant. Der Zuschauer nimmt den Platz der Gesellschaft ein, und betrachtet die Figuren ungewollt als Abschaum, ehe die Entwicklung der Charaktere den Zuschauer von dieser Position loseist und ein Beobachten aus anderer Perspektive ermöglicht. Verständnis und Mitgefühl treten an die Stelle der Abscheu, und nach und nach kann man wirklich eine persönliche Identifikation mit den Figuren feststellen. Sie werden in den Augen des Betrachters vom unsympathischen und hassenswerten Taugenichts zu einem aufrechten, sympathischen Menschen.
Die Rolle des Humors
Verhoevens Filme sidn bekannt für bitterböse Einfälle des Regisseurs. Sei es die Scheidungsszene aus „Total Recall“, die Szene des Fruchtwasser aufleckenden Hundes aus „Türkische Früchte“ oder der gesamte Film „Starship Troopers“. Der schwarze Humor ist allgegenwärtig, und hat neben der sekundären Funktion den Zuschauer zum Lachen zu bringen noch eine andere, primäre.
Die Filme Paul Verhoevens stellen im Grunde allesamt eines dar; eine Satire, mal eine militaristische, mal eine gesellschaftliche. Der Humor wird von Verhoeven in erster Linie genutzt, um diese zu unterstreichen. Dabei dienen viele Zitate als Verdeutlichung der Lässigkeit, mit der Gewalt in der Gesellschaft gesehen wird, man sehe sich nur „Starship Troopers“ und „RoboCop“ an. So kreativ der Humor auch sein mag, hinter ihnen verbirgt sich stets eine Intention, die Untermalung einer Essenz.
Verhoeven – ein Sexist oder doch ein Feminist?
Das Frauenbild in Verhoevens Filmen ist mit ziemlicher Sicherheit einer der interessantesten Aspekte bei einer Analyse seiner Werke, nicht zuletzt aufgrund der häufigen Vorwürfe von Sexismus und Frauenhass. Grund für diese Thesen mag wohl insbesondere die explizite Nacktdarstellung derer in seinen Filmen sein, aber auch die auf den ersten Blick flittchenhaften Charaktere bestärkten die Vorwürfe. Doch bei einem tieferen Blick in Film und weibliche Figuren wird das Gegenteil deutlich. Verhoevens Frauencharaktere sind keine schwachen, anhänglichen und oberflächlichen wie in Filmen von Roland Emmerich, dem man seltsamerweise Sexismus noch nie vorgeworfen zu haben scheint. Bei einer Beobachtung des aus dem Film „Spetters“ entsprungenen Charakters Fientje beispielsweise mag das flitchenhafte, verführerische Auftreten derer im ersten Moment täuschen, doch was sich hinter dieser Fassade verbirgt ist das eigentlich wichtige; ein durchdachter, vielseitiger, frecher und hinterlistiger Charakter, der die drei männlichen Protagonisten geschickt um den Finger wickelt, sie austrickst und deren sekundären Traum platzen lässt – den Traum nach ihr. Als wäre das nicht schon genug Beweis, hilft noch ein Blick auf den, ebenfalls von Darstellerin Renée Soutendijk gespielten Charakter Christine Halsslag aus dem Film „Der vierte Mann“, in dem sie ihren Gegenspieler, dem hoffnungslos in sie verfallenen Jeroen Krabbé mit ihrem perfiden und durchtriebenen Psycho-Spielchen an die Grenzen des Wahnsinns treibt, aber auch der Charakter Sharon Stones in „Basic Instinct“ weiß ihren männlichen Gegenspieler gekonnt auszutricksen. Wer Verhoevens Filme nicht aus dem Blickwinkel eines anspruchslosen Blockbusterjunkies betrachtet, der wird erkennen, dass eine zu oberflächliche Betrachtungsweise zum Missverstehen seiner Filme führt.
Verhoeven Goes America – Die Veränderungen, die mit dem Landeswechsel einher gingen
Als Verhoeven nach seinem vorerst letzten niederländischen Film „Der letzte Mann“ das Angebot bekam, mit Hollywoodstars wie Jennifer Jason Leigh das mittelalterliche Epos „Flesh and Blood“ zu drehen, konnte er schlecht nein sagen. Doch während dieser Film sich aufgrund seiner unästhetisierten Härte sowie seiner brutalen und sexuell-expliziten Darstellung wenig bis gar nicht von Verhoevens bisherigem inszenatorischen Stil unterscheidet, wohl auch weil dieser Film zum Teil noch immer in den Niederlanden entstanden ist, so tut sein nächstes, vollkommen amerikanisches Projekt es umso mehr. Es erscheint „RoboCop“, bei dem Verhoeven erstmals auf die ästhetisierte Gewaltdarstellung zurückgreift, für die seine Filme heute so bekannt sind. In „RoboCop“ herrschen spritzendes Blut und fliegende Körperteile vor, anders als in „Der vierte Mann“, bei dem Gewalt hauptsächlich durch Szenen wie das Abschneiden eines männlichen Geschlechtsteiles zum Ausdruck gebracht wird. Verhoeven stellt allerdings auch sein Konzept, auf dem seine bisherigen Filme aufgebaut waren so um, dass ein Paul Verhoeven Film von jetzt an auch für die breite Masse problemlos zugänglich ist. Als Blockbuster getarnt enthalten seine Filme aber noch mindestens genauso viel Kritik, Satire und unterschwelligen Humor wie zu seinen niederländischen Zeiten. Eine wahrhaft perfekte Mischung aus Kunst und Unterhaltung ist das Resultat, welches sich auch bei seinen Filmen „Total Recall“ und „Starship Troopers“ erfolgreich bemerkbar macht.
Doch abseits der Gewaltdarstellung lässt sich eine weitere, gravierende Veränderung im Stile des Regisseurs ausmachen. Genauso bedeutend ist die in seinen amerikanischen Filmen viel harmlosere und weniger erotische sexuelle Darstellung von Menschen. Die Spannungen, die während Sexszenen in Verhoevens niederländischen Filmen in der Luft lagen vermisst man schmerzlich, an ihre Stelle treten unerotische und kalte Liebesszenen aus Filmen wie „Basic Instinct“. Das wirklich traurige, und in einem gewissen Sinne auch lustige daran ist der Wirbel, der um „Basic Instinct“ verursacht wurde. Die sexuellen Darstellungen in dem Film riefen „Skandal!“-Rufe hervor, und das, obwohl seine früheren Filme doch viel explizierter waren als es dieser Erotikthriller ist. Insbesondere die für viele cineastisch unerfahrenere Kinogänger legändere Szene, in der man angeblich für einen kurzen Augenblick zwischen die Beine Sharon Stones lunzen darf, sorgte für vielerlei Empörungen. Dass Verhoeven Geschlechtsteile in ihrer ganzen Pracht bereits 20 Jahre zuvor in „Türkische Früchte“ zeigte schienen die meisten gar nicht zu wissen. Und genau hier lässt sich die große Veränderung erkennen; während Verhoeven nämlich in seinen niederländischen Produktionen Geschlechtsteile als das darstellte, was sie nun einmal sind –Körperteile – zeigt er sie gegen seinen Willen nun wieder als geheime, göttliche Objekte, so wie bereits unzählige andere amerikanische Filmemacher es tun. Sex ist nun wieder ein Tabu-Thema, ein gefährliches Thema. Sein Verhoeven’scher Stil im Bezug auf sexuelle Praktiken und insbesondere das offene Zeigen derer ist verschwunden, und auch in keinem seiner späteren amerikanischen Werke wiederzufinden. Erst als Verhoeven 2006, mittlerweile wieder zurück in seinem Heimatland, seinen Film „Black Book“ drehte, erwachte dieser sexuelle Verhoeven’sche Stil wieder aus einer Jahre andauernden Ruhephase.
In Paul Verhoevens Filmen steckt also doch mehr, sogar viel mehr sogar als nur kontroverse Themen, Sexismus und massenhaft Gewalt. Doch da traurigerweise lediglich seine großen Hollywood-Produktion viel Aufmerksamkeit genießen durften und die kleineren, niederländischen Produktionen beinahe schon als Geheimtipps zählen ist es nicht verwunderlich, dass viele oberflächliche Zuschauer solch ein Bild eines der großartigsten Regisseure aller Zeiten vor Augen haben. Wer Paul Verhoeven und seine Art des Filmeschaffens wirklich kennen lernen will, der darf sich nicht einzig auf die in nahezu jedem Laden verfügbaren Werke stürzen. Verhoevens Filmographie ist nämlich zweigeteilt, in zwei gänzlich unterschiedliche Kapitel. Ein Regisseur also mit zwei Gesichtern, zwei Nationalitäten, zwei stilistischen Richtungen. Ein Regisseur, der an Genialität nur sehr schwer zu übertreffen ist, und dessen Filme auch in vielen Jahren nach wie vor so genial, satirisch böse udn aktuell sein werden wie zu diesem Tage. Paul Verhoeven, wahrhaft einer der Größten der Großen.