Ein Jahr nach seinem enormen Erfolg von Dracula, mit Bela Lugosi in der titelgebenden Hauptrolle, entschied sich Regisseur Ted Browning für das Projekt Freaks. Das Werk, das seine Karriere für immer ruiniert hat und bis heute ausschließlich in der lediglich einstündigen Fassung existiert, ist heute Teil unserer 31 Days of Fright.
Wir sehen eine Gruppe von Zirkusartisten. Der Großteil von ihnen ist entstellt oder fehlgebildet. Lediglich vier Personen der Zirkusgruppe ist nicht körperlich behindert. Auftritte auf der Bühne sehen wir zu keiner Sekunde. Stattdessen spielt sich das Geschehen hinter dem Zirkus zwischen all den Wagen der Künstler ab. Wir sehen, wie sie lachen, wie sie leben, wie sie lieben und wie sie weinen. Die erste Hälfte des Filmes sind wir ganz nah bei ihnen innerhalb eines einzigen Abends. Es scheint lebhaftiger Austausch, Respekt und Fürsorge zu existieren. Doch nur auf der Oberfläche. Denn hinter all dem Schein lauern die wahren Monster: Ausbeutung, Kapitalismus, Kampf um den sozialen Status.
Große Zwiespalte entstehen innerhalb der identitären Gruppe, die sich selbst als Community versteht (besonders erkennbar an den gemeinschaftlichen Jubel in einer der bittersten Szenen des Filmes: „We accept you! We accept you! One of us! One of us!“) Doch das Grauen kommt nur bedingt vom Inneren. Denn die äußeren Einflüsse – der Hass, der Ekel, die kommerzielle Ausbeutung, ausgeführt von der Seite der Nicht-Behinderten und Nicht-Entstellten – weckt Zweifel an die Loyalität zwischeneinander. Dabei bemüht sich Browning so nah und unverfälscht an seinen Charakteren zu sein, dass es einem Weltwunder gleicht, eine solch respektvolle Darstellungen von Behinderten aus einer Zeit wie die der 1930er Jahre zu sehen. Es gleicht geradezu einen Hilferuf an den Humanismus. Und eben darin findet die Darstellungsform des Gezeigten seinen Horror: In der kristallklaren Realität. Doch wir Zuschauer können den Horror selbst in der Retrospektive nicht entkommen, erinnert man an die massenhafte Ablehnung, den Ekel und die zahlreichen Zensuren und Verbote, die den Film ebenso überschattet hatten, wie auch (ironischer Weise) vollkommen verstümmelten bis zum heutigen Tage. Die Ursprungsfassung wird es vermutlich nie wieder geben. Doch die existierenden 64 Minuten reichen bereits aus, um die unwiderrufliche Härte und die überlebenskämpfende Wärme dieses Meisterwerkes zu erkennen. Dabei mündet Freaks in einer unberechenbaren Pointe, die zweifelsohne Guillermo del Toro für eine Vielzahl seiner Filme beeinflusst haben muss. Freaks schreit nach Leben, nach Respekt, Friedlichkeit und Liebe – und lässt jenen menschenrechtlichen Ruf auf seinen Zeitgeist stoßen, innerhalb des Filmes und zwischen seinem angewiderten Publikum zur damaligen Erscheinung. Heute scheint es weitaus mehr Sensibilität dafür zu geben. Doch von einer gesellschaftlichen Inklusion sind wir 90 Jahre (!) nach dem Release dieses Filmes immer noch weit entfernt. Der Horror findet in unserer Gegenwart kein Ende.
Empfehlenswert für Halloween, weil seine realistische Härte noch immer enorm verstörend ist. Der Kampf um einen Platz für allgegenwärtigen Respekt verneint der Film keinesfalls. Das missachtet seine und unsere Realität von ganz alleine. Gesellschaftlicher Horror in vollster Stärke, inszenatorischer Glanzleistung und fantastischen Darstellern.
Regie: Tod Browning
Drehbuch: Willis Goldbeck & Leon Gordon basierend auf einer Kurzgeschichte von Tod Robbins
Produktion: Tod Browning, Harry Rapf (uncredited), Irving Thalberg (uncredited)
Darsteller: Wallace Ford, Leila Hyams, Harry Earles, Daisy Earles
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 64 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1932
Budget: 310.000 USD
Box Office: 341.000 USD
Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Warner Bros.