Dramen über das Leben des einfachen Mannes und stärkefordernde Zeiten bilden bekanntlich einen moralprädigenden Einheitsbrei. Wird dies von Kenneth Lonergans Manchester by the Sea ebenfalls erwartet, scheinen jegliche Kritiken dem zu widersprechen. Betont wird stetig seine hochqualitative, anspruchsvolle Emotionalität und selbstverständlich das herausragende Schauspiel von Casey Affleck, ebenso wie das von Lucas Hedges und Michelle Williams. Doch wären das tatsächlich alle Nennenswertigkeiten, könne es sich unwahrscheinlich um das bekanntlich herausragende Drama jener Thematik handeln. Worin liegt also seine Besonderheit?
Manchester by the Sea beginnt mit der Beobachtung des stummen Lebens eines introvertierten Klempners, in dem eine übertönende Ausgeglichenheit den Hauch seiner Gebrochenheit überdeckt. So neu und unbekannt, wie der Charakter Lee Chandler für den Zuschauer ist, ebendort fängt auch die Erzählung an, ohne den Schein einer Vertrautheit vorzutäuschen. Die schwere Durchdringbarkeit seines Wesens ist die inhaltliche Version des Filmes, die sich mit Lonergans Formalität und Erzählgerüst ergänzt. Statt Lee frühzeitig durch Details seiner Vergangenheit zu vertiefen, werden Informationen unauffällig sparsam und häppchenweise das gesamte Drehbuch über verteilt. Diese narrative Konsequenz blüht dank ihrer wirksamen Authentizität in ganzem Maße auf. Der Kern bleibt kontinuierlich das Wesentliche. Skriptische Fremdkörper oder überflüssige Ausschweifungen treten ebenso schnell ein, wie sie fallen gelassen werden. So konstruiert er durch rein erzählerischer Struktur einen beispielhaften Umgang mit Unwichtigkeiten ohne belehrendem Subtext. Eine Seltenheit.
Interessant ist nicht nur, dass das Drama wie europäisches Kino wirkt, sondern wie es die Klänge seines Scores einsetzt. Weder einprägsame Themen, noch konventionelle Adagio-Passagen werden hier verbraucht – der musikalische Einsatz dient zur gezielten Unterzeichnung, nicht zur Dramatisierung oder emotionalen Manipulation. So rein, wie das Gesamtstück ist, findet sich Kino immer nur seiner Bestform auf. Anders ist es mit dem Humor im Film, welcher zu Beginn etwas zu deutlich den Kontrast zur subtilen Dramatik setzen möchte. Dort war die Sparsamkeit nicht ganz vorhanden, doch ist es letztlich schnell vergessen, denn jenes Fortsetzen dieser sympathisch-humanistischen Züge platziert sich reibungslos in das Erzählen und der Dramaturgie.
Was Drehbuchautor und Regisseur Kenneth Lonergan geschaffen hat, ist ein herausragend-charaktervolles Drama, so nahe dem menschlichen Gefühlswesen und vertraut mit dem künstlerischen Konstrukt des Erzählkinos, dass jedes Lob tatsächlich gerechtfertigt ist. Es gibt ein paar Passagen in Manchester by the Sea, die in ihrer unvorhersehbaren Wucht lange nachwirken. Alleine ihretwegen sei der Kinobesuch bereits zu empfehlen – nur würden so wieder allgemeinbegriffliche, nicht einheitlich belegbare Worte die Schlagzeile formen.
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