In ihrem Langfilmdebüt Mignonnes erzählt die Regisseurin Maïmouna Doucouré von der aktuellen Generation heranwachsender Kinder und dem damit verbundenen Kultur- und Generationskonflikt.
Die elfjährige Amy ist gerade mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder von Senegal nach Paris gezogen. In der Schule lernt sie den Alltag moderner Pariser Mädchen kennen, während der konservative, soziale Umkreis ihrer Mutter gänzlich andere Normen verfolgt.
Wo der Plot noch recht trübsinnig klingt, gleicht die Umsetzung einer Offenbarung. Regisseurin Doucouré begegnet den jungen Mädchen mit viel Respekt und scharfsinniger Beobachtung, während wir Teil ihres Kosmuses werden und die Welt gänzlich aus ihren Augen betrachten. Wir entdecken Hierarchien in der Schule, sich nervende Geschwister und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Dabei bleiben wir ganz Nah bei der Wahrnehmung von Amy, wodurch wir das einmalige Geschenk bekommen wieder in der Gefühlswelt eines elfjährigen Kindes zu sein.
Während des Gottesdienstes trägt Amy ein Kopftuch. In der Schule hingegen wandelt sich ihr Look zu einer unangenehmen Freizügigkeit, seitdem sie sich der lauthalsigen Mädchengruppe angeschlossen hat. Die gleichaltrige Clique möchte durchs Tanzen Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Schule gewinnen und postet sich twerkend in den sozialen Medien. Ab dieser Stelle provoziert der Film in vollem Maße, da er die jungen Mädchen so ausgelassen zeigt, wie sie eben sind. Dazu gehört ebenfalls eine brüllend-komische Szene, in der eines der Mädchen weinend befürchtet Aids und Krebs zu haben, nachdem es ein unbenutztes Kondom aufgeblasen hat.
Abseits von den humorvollen Szenen zwingt der Film gleichermaßen eine Generation zu akzeptieren, wie auch zu hinterfragen, die unaufgeklärt der modernen Technik konfrontiert ist. Dass wir dabei Momenten zusehen, die alles andere als angenehm sind, gehört zu den großen Künsten dieses menschlichen, von Grund auf ehrlichen Coming of Age-Films. Dabei geht die Regisseurin nie einen Schritt zu weit mit den Bildern und zeigt den ungezügelten Umgang innerhalb der Gruppe und mit sich selbst.
Es ist nicht nur ein unromantisiertes Porträt über den Übergang vom Kindsein zum Jugendalter, welcher nebenbei ein höllischer Selbstfindungstrip ist. Es ist zugleich auch ein Bildnis jener Kinder, die zuhause anderen, gesellschaftlichen Normen folgt, als jene in der Schule. Das macht den Zustand von Amy zerrissen und ihre Entschlossenheit geradezu verzweifelt. Dass die Kinderdarstellerin Fathia Youssouf Abdillahi ihre Figur mit all ihrer Komplexität authentisch und verständlich verkörpert, ist vielleicht der größte Wurf dieses Filmes. Noch dazu sind es die Dialoge und die Dynamik innerhalb der Gruppe, die die Authentizität nie anzweifeln lassen oder angreifbar machen.
Mignonnes ist ein ganz großes Meisterwerk, so ehrlich und unverfälscht, dass dieser Coming of Age-Film nicht immer ein angenehmes Seherlebnis ist. Dass das alles noch akzeptable Provokation ist und nie die Augenhöhe seiner Protagonistin überschreitet, ist wahrlich eine Offenbarung. Trotzdem wünschen wir uns nach diesem Film absolut nicht nochmals elf Jahre alt zu sein. Einen Kinostart wird der Film hierzulande nicht haben. Dafür hat sich Netflix die Rechte gesichert.