Clint Eastwood-Retrospektive #13
Das in den Vierzigerjahren entstandene Subgenre des Kriminalfilms, der Film noir, prägte das Medium mit seinem expressionistischem Stil bis in die Gegenwart hinein. Das Biopic Bird, das von der Jazzlegende Charlie Parker erzählt, ist von diesem Einfluss zweifellos betroffen: Mit verrauchten Hallen, einer präzisen Beleuchtung und atmosphärischer Belebung einer nächtlichen Großstadt bietet Regisseur Clint Eastwood den ultimativen Reiz für jeden Cineasten.
Wie in einem Biopic oft üblich, wird die zentrierte Prominenz geehrt und ebenso hinterfragt. In Bird, der stilistisch scheinbar sehr vom Musikdrama Um Mitternacht inspiriert ist, tritt dies durch sachlich nüchterner Beobachtung ein. Bemerkenswert ist, dass Momente der Entschlüsselung und Erklärung erst nach Vollendung eines umschriebenen Details seiner Persönlichkeit eintreffen. So beginnt der Einblick in die Person Charlie Parker im nächtlichen Daseins seines Apartments, wo er im Alkoholrausch auf seine Frau trifft. Erst in langsamen Schritten wird eine folgend gezeigte Zuspitzung ausführlich erläutert, die beim Sehen ohne Vorwissen ein Gefühl der Bedrückung erzielen.
Die eingefleischte und gleichzeitig abgestoßene Beziehung der beiden hat in ihrer Inszenierung eine äußerst beklemmende und ausweglose Wirkung, sodass schnell klar wird, dass ihr Miteinander ebenso unmöglich scheint, wie ihr Ohneeinander. An diesem Punkt macht sich die Prägung des Film noir wiedereinst bemerkbar: Der von jeder Moral verlassene Protagonist steht in einem seelisch verwundbaren Bann mit der unverzichtbaren Femme fatal, die der entscheidende Handlungsträger der Geschichte ist.
Nicht nur Eastwoods Beteiligung ist für das beeindruckende Endprodukt unverzichtbar, sondern ebenfalls die Performance von Forest Whitaker. Diese, und das sollte unbedingt erwähnt werden, ist in ihrer Intensität und Authentizität geradezu unvergleichbar. Es ist kein Geheimnis, dass Whitaker zu den begabtesten Schauspielern seiner Zeit zählt, doch die in Bird zu sehende Darstellung ist unbezahlbares Gut für den Film über Charlie Parker. Ebenfalls überzeugt seine Kollegin Diane Venora, die einige Jahre später in Michael Manns Heat eine ähnliche Rolle annahm. Deren gemeinsames Schauspiel funktioniert ausnahmslos.
Mit einem Punkt kommt die Treffsicherheit des Filmes dennoch nicht überein. Davon betroffen ist das Drehbuch von Joel Oliansky, das beim Ertasten der Person Charlie Parker manchmal nur an Oberflächen kratzt. Besonders auffällig ist dies bei Beendigung des Filmes, das enttäuschender Weise in Bedeutungslosigkeit schwebt. Keinerlei Symbolik oder Nachwirkung steht den End Credits gegenüber, sondern wieder einmal nur die üblichen Textzeilen abrundender Fakten, die mit dem Gefühlswesen des Filmes in keiner Beziehung stehen oder gar harmonieren.
Die finale Bewertung des Musik-Biopics Bird ist überaus zwiespältig. Clint Eastwoods Inszenierung ist makellos in ihrem visuellen und narrativen Stil der Film noir-Klassiker von John Huston, Howard Hawks und Billy Wilder. Zudem hat er ein wundervolles Verständnis zur Musik, was sich an seinen Kompositionen folgender Filme (Der fremde Sohn!) und seiner Beteiligung an der Dokumentation über den Jazz, Piano Blues, belegen lässt. Doch wo das Schauspiel von Whitaker und Venora die Lücken der Charaktertiefen füllt, scheitert das Drehbuch an manch anderen Stellen durch oberflächlichem Nacherzählen der Biographie Charlie Parkers. Gesehen haben sollte man den Film trotzdem – besonders, da er vollkommen vergessen ist.
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