Clint Eastwood-Retrospektive #29
Wir hatten in unserer Clint Eastwood-Retrospektive mittlerweile viel richtig gute Filme besprochen und einen Qualitätsanstieg in unbeschreiblichen Sphären feststellen können, doch mit Gran Torino haben wir wohl seinen besten Film erreicht. Sein bedrückendes Sozialdrama reflektiert nicht nur sein bisheriges Schaffen, sondern stellt auch seinen persönlichen Abgesang aus dem Schauspielgeschäft dar, obwohl er 2012 nochmal in Back in the Game zu sehen war. Ein Titel wie er beschreibender nicht sein könnte. Und sein eigentlicher Ausstieg geschieht mit einem riesigen Knall.
Der knurrige und grimmige Walt Kowalski bekommt neue Nachbarn, nachdem seine Frau gestorben ist. Eine chinesische Familie zieht in das leerstehende Haus und Walt ist nicht amüsiert. Er war in Korea stationiert, ist persönlich noch immer gezeichnet vom Krieg und kann rassistische Ausdrücke nicht aus seinem Vokabular streichen. Im Gegenteil, kein Moment vergeht ohne eine rassistische Bezeichnung seiner freundlichen Nachbarn. Seine Familie selbst ist ignorant und genervt von ihm und versucht ihn in ein Altersheim zu schicken, damit er das Leben seiner Mitmenschen nicht mehr vermiest. Seine Enkel halten die Distanz zu ihm, kommen nur zu ihm wenn sie Ansprüche oder Wünsche haben. Das Einzige was ihm bleibt ist sein Hund Daisy und sein tadellos gepflegter 1972er Gran Torino, der jedoch vom Nachbarsjungen Tao, als Mutprobe vor seinem kriminellen Cousin, geklaut wird. Besser gesagt, er versucht es.
Aus dieser Ausgangslage spannt sich die Geschichte, wollte Tao doch nur zeigen, dass auch er ordentlich etwas auf dem Kasten hat. Er benimmt sich anders als die anderen, ist nicht interessiert an Rassismus, Kriminalität oder Gewalt. Man merkt, Gran Torino ist ein sehr charakterdurchtriebener Film mit großem Fokus auf seine Figuren. Doch gleichzeitig ist Gran Torino auch ein sozialkritischer Film, wie er stärker nicht sein könnte. Hass und Kriminalität ist omnipräsent in dieser Stadt. Rassismus und Vorurteile bestimmen die Ansichten und das Handeln und doch wird Eastwood dabei nie eine belehrende Rolle einnehmen. Die Geschichte bewegt sich mit gemäßigtem Tempo fort, schwingt sich in ihrer Stilistik auf unterschiedliche Genre durch die Laufzeit und verfehlt ihrer dramatischen keinesfalls. Es ist die Geschichte eines alten Mannes mit Kriegstrauma, der sich mit einer anderen Kultur anfreundet und wieder Lichtblicke in seinem Leben hat.
Gran Torino ist ein aufrüttelnder Film, der sich nicht scheut die Missstände in unserer heutigen Gesellschaft drastisch aufzuzeigen, im Gegenteil! Wie so oft in seiner Vita beweist Eastwood es auch hier, wie hart er solche Szenen inszenieren kann. Gran Torino ist gleichzeitig aber auch Wechselspiel. Klingt es auf dem Papier noch wie eine harte Sozialstudie gelingt ihm fast schon spielerisch eine Kombination aus ernsthafter Auseinandersetzung und lockerer Darstellung. Gran Torino ist nämlich gleichzeitig auch ein sehr komischer Film, bei dem eine subtile komödiantische Note ausgespielt wird. Dass der Meister des Dramas auch hier am Ende wieder ordentlich zuschlägt, sollte einem jedoch klar sein. Denn auch wenn der Abspann mit einem breiten Lächeln erfolgt, verlangt Eastwood wieder vieles vom Zuschauer.
Und doch ist Gran Torino ein Werk von umwerfender Schönheit, der uns zeigt wie überraschend das Leben sein kann. Aus dem grantigen alten Mann wird ein liebender und toleranter Nachbar, der in einem Jungen, von dessen Sorte er im Krieg hunderte erschossen hat, eine Enkelfigur findet. Eine unbekannten Familie, die ihm eine Familie schenkt, wie er es nie zu spüren bekommen durfte. Vertrauen, das sich soweit äußert, dass der so penibel beschützte und gepflegte 72er Gran Torino für eine Spritztour überlassen wird. Und hier haben wir nun also das umfangreiche Mammutwerk, welches Clint Eastwood mit 78 Jahren noch auf die Beine gestellt hat. Ein dramatisches Meisterwerk voll betörender und leiser Schönheit, Härte und leichtem Witz. Ich kann nur ans Herz legen, diesen Film zu sehen, sollte man ihn nicht längst im Schrank zu stehen haben. Denn auch wenn es beinahe unbeschreiblich ist, ist Gran Torino einer der besten Filme die je gedreht wurden.
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