Clint Eastwood-Retrospektive #20
Vorweg: Dass dieser Film nicht in einem Atemzug mit Clint Eastwoods anerkanntesten, größten Werken genannt wird, ist ein Skandal.
Mitternacht im Garten von Gut und Böse entstand am Ende einer Zeit, in die der Film so gar nicht passen mag: in den Neunzigern. Mit der gewohnten Geduld entwirft Clint Eastwood ein empathisches und differenziertes Panorama aus Südstaatenkultur und Abgründen, denen sich die romantische Kontemplation, die in allem das sinnlos schöne sieht, wehrlos ergibt. Liest man eine Synopsis zu diesem Film, entsteht in der Fantasie das Bild eines Psycho(gerichts-)thrillers, der sich auf sein ausgeklügeltes Drehbuch – und damit seine oberflächlichen Reize – verlässt. Aber einmal mehr ist Eastwood an sowas nicht interessiert und beweist seine unglaubliche Reife als Filmemacher, die in den Neunzigern endgültig hervortrat und einen schönen Kontrast bildete zu diesem seltsamen Filmjahrzehnt.
John Cusack ist die im Kino so oft angestrengte Schriftstellerfigur, die von New York (er hört sich zum Einschlafen gar Verkehrslärm vom Band an!) nach Savannah, Georgia kommt, um für ein Magazin über eine berühmte Weihnachtsfeier zu schreiben. Als jedoch deren Gastgeber, ein reicher Kunstsammler (Kevin Spacey), nach der Party seinen Liebhaber erschießt, verlängert sich sein Aufenthalt im Städtchen; von den Ermittlungen, dem Prozess und allem drum herum erhofft er sich reichlich Stoff für einen neuen Roman. Mitternacht im Garten von Gut und Böse erinnert daran, welch große Schauspieler Cusack und Spacey eigentlich waren: Cusack flaniert so wunderbar melancholisch durch die Straßen und Dixie-Einrichtungen Savannahs – wenn er lacht meint er es ernst, er ist neugierig (das ist sein Beruf); der Süden hier unten ist eine ganz eigene Welt. Kevin Spacey spielt mit einer Klasse, die in unseren Erinnerungen schon beinah verblasst sind, so sehr ist er mittlerweile zum Schatten seiner selbst geworden. Ganz klein ist er zwischen den Menschen, die in ihren klaren Rollen stecken, während er, der wohlhabende Homosexuelle, in dieser Umgebung zwangsläufig ein Fremdkörper, zur Elfenbeinturm-Existenz verdammt ist. Während die Gerichtsverhandlung ihren Lauf nimmt, seziert Eastwood unglaublich nuanciert die moralische Zwiespältigkeit, die immer angelegt war und jetzt hochkocht. Buhlte man früher um die Gunst des jetzigen Angeklagten, wendet man sich jetzt von ihm ab, als man von seinen besonderen „Vorlieben“ erfährt. Doch konzentriert sich Eastwood Gott sei Dank nicht vollständig auf die Schilderung einer erstarrten Gesellschaft, sondern schweift gekonnt aus und schildert die makabere Poesie, die sich im schwülen Klima Georgias finden lässt und die den New Yorker Autor in ihren Bann zieht. Eastwood erzählt nicht viel und doch alles.
Denn Savannah ist eine Stadt, in der Menschen unsichtbare Hunde und Bienen an Leinen führen, wo jeder ein zweites, echteres Leben in der Nacht führt, in den Clubs, Bars, auf den privaten Partys. In Gestalt einer großmütterlichen schwarzen Frau, die immer wieder in den Szenen auftaucht und mitternachts auf dem Friedhof (siehe Titel) Voodoo-Rituale durchführt, lässt Eastwood den Tod auftreten, der uns zwar immer und überall über die Schulter blickt; aber er lächelt dabei. Liebe und Tod, die einzig relevanten Themen, gehören für Eastwood untrennbar zusammen. Wo kann man das besser zeigen als im nächtlichen Savannah, als die Liebe aufkeimt?
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