Es ist kaum zu glauben, dass es bislang noch kein Film von Billy Wilder geschafft hat bei uns in Textformat zu landen. Nun ist es endlich soweit: Sein stilvoller, surrealer Film noir Sunset Boulevard (oder hierzulande auch Boulevard der Dämmerung) treibt ab heute in unseren Archiven sein Unwesen. Ein Film voller selbstkritischer Einwände gegenüber der Traumfabrik, dessen schauerhafte Reflexion der Schattenseite Hollywoods nicht zuletzt einen bemerkbaren Eindruck bei David Lynchs Filmographie, ganz besonders Mulholland Drive, hinterließ.
Bereits mit dem klassischen Voice Over fängt Wilder ein Gespür für die führende Atmosphäre von Sunset Boulevard ein. Sie begleitet den Zuschauer nicht nur den gesamten Film über und bettet ihn mit treffenden Umschreibung in den Schatten des Sunset Blvd. ein („There was a tennis court – or rather the ghost of a tennis court.“), sondern spielt auch gekonnt mit seinen Erwartungen. So schnürt die Finsternis immer mehr den sarkastischen Humor des Filmes zu, um letztlich der Bezeichnung „Film noir“ vollends gerecht zu werden.
Der wahre Held ist und bleibt die einzigartige Gloria Swanson, die hier die Rolle ihres Lebens spielt. Der kühne Wahn ihrer gebrochenen, krampfhaft-standhaften Persönlichkeit kann wohl keiner das Wasser reichen (Nein, um Himmels Willen auch nicht Meryl Streep). Ihr imposantes, großformatiges Schauspiel sticht mit ganzer Notwendigkeit zwischen den Performances ihrer Kollegen heraus, die trotz realitätsnahen Zeichnungen immer noch ausreichend wie Filmfiguren wirken. Besser hätte die Illusion des Filmes nicht gestärkt werden können, um trotz Selbstkritik im Genuss des Kunstformats zu bleiben.
Die stark konstrastierende Beleuchtung, die für den Film noir ebenso charakteristisch wie atmosphärisch ist, findet beonders bei Nacht seinen Charme. Erst dort entfaltet sich das eindringliche, gespenstische Wesen des Boulevards. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Szene in der Mitter des Filmes: Während die eingestaubte Villa von Stummfilmstar Norma Desmond (ein Name, der ein Trinkspiel wert ist) zunehmend an Vertrautheit gewinnt, verlässt der Protagonist, Joe Gillis, erstmals zur Silvesternacht die grauen Gemäuer. Noch bis eben verbrachte er mit Norma einen zeitfremden Abend der Zweisamkeit, um sich letztlich auf eine lauthalsige Wohnungsparty eines Freundes von ihm wiederzufinden. Diesen Sprung, die Aufnahme und Wiedergabe des Momentes und der Umgebung, schafft Wilder mit einer unvergleichbaren Leichtigkeit. Solch raffinierte, scheinbar selbstverständliche Umsetzungen finden nicht nur ein Mal ihren Platz in Sunset Boulevard.
Aus der Goldenen Ära Hollywoods findet man nicht viele Filme, die sich die Welt nicht vorlügen. Billy Wilders Sunset Boulevard bildet in diesem Kanon ein absolutes Glatzstück, das sich keineswegs schöner, sondern viel mehr schwärzer färbt. In ansehnlichen Schwarz-Weiß-Bildern und mit einem passend-düsteren Soundtrack untermalt, wird hier ein perfider Surrealismus heraufbeschört. Wer die Wurzeln von David Lynchs Schaffen entdecken möchte oder den ersten, großformatigen Independentfilm sehen will, der sollte diesen Filmschatz unbedingt nachholen. Nicht ohne Grund findet er auf jeder großen Bestenliste seinen verdienten Platz.
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