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Transit

von Robin Längert

Zur Zeit ist in unseren Kinos so etwas wie eine neue Neue Deutsche Welle zu finden, die endlich wieder etwas erzählen möchte. Im Falle von Transit, dem diesjährigen Berlinale-Liebling, kann man nicht mehr von einem klassischen, filmischen Diskurs reden, sondern von einem waschechten Meisterwerk.

Ganz in der Manier von Casablanca erzählt uns Transit von einer Hafenstadt für Flüchlinge zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dort versucht der Deutsche Georg (Franz Rogowski) ein Visum für die Fahrt nach Mexiko zu bekommen. Während seines Aufenthalts in der französischen Stadt Marseille trifft er nicht nur Personen, die sein Leid teilen, sondern ebenso auf welche, die ihn in der Frage nach einem echten Gefühl von einem Zuhause verunsichern. Interessant an der Erzählweise ist, dass das Setting auf unserem gegenwärtigen Stand ist. Das heißt, sowohl Autos, Häuser, also auch die Schutzkleidung der Polizisten wurden nicht an die 1940er-Jahre angepasst. Das ist nicht nur ein Clou für das Budget, sondern gleichermaßen für die Intensität und Identifikation. So wirkt das Geschehen real, zeitlos, unangenehm-greifbar. Der Krieg, der sonst so oft retrospektiv im Film geschieht, ist in Transit ein bedrückendes Endzeitdrama.

Durch die authentische, unverfälscht wirkende Nähe ist der Film mit einer grandiosen Intensität versehen, die inmitten der surrealen Erzählart durchdringt. Inmitten der Geschichte trifft man auf viele Nebencharaktere, die vielleicht etwas hanebüchen erscheinen, dennoch vollends notwendig sind. Denn wie in so vielen cineastischen Odysseen sollen sie am Ende ein Gesamtbild erstellen, wie ein unheiles Plädoyer an die Menschheit – und ebenso fungierend als Selbstreflexion der Zuschauer. Eben diese Vielfalt an Individuen ist treffend in Szene gesetzt und grandios geskriptet. Viel eher sollte jedoch Franz Rogowski, der Hauptdarsteller, gelobt werden. Dieser viel mir persönlich bereits in Victoria positiv auf, doch beweist seine Performance als introvertiertes Zentrum des Plots sein wahres, herausragendes Talent. Der deutsche Ryan Gosling, sozusagen.

Es werden sehr interessante Fragen gestellt, die zu keinem Zeitpunkt ausgesprochen werden müssen. Fragen über die Definition von einem Zuhause. Ob die Nähe zu einer Person die Frage nach dem richtigen Ort irrelevant macht. Wann das Gefühl von Nähe zerbrechen kann. Ob die Nähe eines Menschen ersetzbar ist, irgendwann. Oder ob man ungewollt immer und überall das Gefühl von Fernweh projiziert. Und ob all das irgendwann sein definitives Ende finden kann. Ja, es sind furchtbar-belastende Fragen, die sich erst durch den End Credit-Song Road to nowhere seelisch entfalten. Es zeigt uns, dass Fragen manchmal mehr Schmerz verursachen können als Antworten zu geben. Manchmal findet man auch erst im Schmerz seine Antwort. Und manchmal muss Kino verdammt wehtun, damit es auch verdammt gutes Kino ist. Im Falle von Transit ist es verdammt wirkungsvolles Kino.

Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold hat das Kino verstanden, denn er verweigert sich den Antworten. Stattdessen verarbeitet er das Heiligtum des Klassikers Casablanca und entstellt die wunderschöne Stadt Marseille zu einem Fegefeuer, in dem die Menschen unwissend verwesen. Allesamt jagen sie Geister, warten auf etwas greifbares. Seit Sergio Corbuccis Django wurde die Vergangenheit nicht mehr so apokalyptisch in Szene gesetzt. Und wir Zuschauer sind dieser surrealen Odyssee ausgesetzt. Das ist Poesie, Destruktion und Realismus in einer Gestalt.

Wer den besten deutschen Film unserer Zeit sehen möchte, sollte sich dringend ein lokales Off-Kino suchen und sich, am besten vollkommen allein, auf Transit einlassen. Es ist zum Glück keine weitere NS-Reflexion des deutschen Kinos, die in Massen hinterhergeschmissen werden. Nein. Transit ist hochwertig inszeniertes Kino mit Fleisch und Seele, das nicht verstanden, aber empfunden werden möchte. Ein Meisterwerk.

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