Richard Bates Jr. gehört zu den interessantesten Filmemachern unserer Zeit. Schon das hier besprochene Kleinod „Excision“, sein Spielfilmdebüt, fiel als fein sezierendes und erschütterndes Horrordrama auf. Erfreulich ist, dass Bates Jr. auch nach einem solch originell-verstörenden Werk nicht in der endlosen Masse an untergegangenen Indie-Regisseuren versandete, sondern weiterhin seine abgründigen Visionen umsetzt und letztes Jahr mit Trash Fire seinen bereits dritten Spielfilm vorlegte. Er bildet den Abschluss einer losen, thematisch verknüpften Trilogie über den Vorgang des Aufwachsens und die damit einhergehenden Verkrampfungen der Psyche. „Excision“ widmete sich dem Stadium der Pubertät, „Suburban Gothic“ der universitären Bildung, Trash Fire nun endlich dem Erwachsensein. Einmal mehr ist Trash Fire ein in Stil und Thema so eigenständiger, faszinierender und bewegender Film, ein cinematischer „descent into madness“, dass man getrost aufhören kann, sich um die Zukunft des (Horror-)Kinos Sorgen zu machen.
Wie auch in „Excision“ verzichtet Bates in Trash Fire auf eine dramaturgische Schonfrist für den Zuschauer. Schon in den ersten distanzierten und lakonisch montierten Bildern wirft er uns mitten hinein in die On/Off-Beziehung zwischen Owen und Isabel, die in ihrer stürmischen Polarität einer gegenseitigen Borderline-Abhängigkeit nicht unähnlich ist. Der depressiv-bulimische Owen treibt Isabel mit seinem schon beinah lebensverachtenden Zynismus an den Rand der Kapitulation und damit ihre Beziehung in die Extreme. Als eben jener Zynismus, der, so wird es zuerst angedeutet und später dann bestätigt, von einem ungeheuren Kindheitstrauma herrührt, über die Stränge schlägt, seine abschätzige Distanz zu unserer Welt zu groß wird, wird ihm trotz des ständigen Ausnahmezustands die Vergänglichkeit des Selbstverständlichen bewusst: Er möchte, ungeachtet aller Reibereien und vorangegangenen Zerrüttungen, ein Kind mit Isabel großziehen. Zur Versöhnung liest er Isabel ihren eigenen Nachruf vor (so ganz kann er’s doch nicht lassen), ein letztes Mal gibt sie nach und verlangt von Owen eine Rundumerneuerung; dazu gehört auch, dass er sich seiner verdrängten familiären Vergangenheit – oder was davon übrigblieb – stellt. Gemeinsam besuchen sie für mehrere Tage Owens Großmutter, welche ihn nach dem Tod seiner Eltern aufzog und nun mit seiner entstellten Schwester (dargestellt von der wieder einmal herausragend grenzgängerischen AnnaLynne McCord) ein einsames Leben führt. Doch das ist erst der Anfang.
Wie aus der obigen knappen Synopsis hervorgeht, steht einmal mehr die Neurose als Motiv im Zentrum des Films, die sich im weiteren Verlauf zum puren Wahnsinn auswächst. „Excision“ erzählte von der Entstehung einer geschundenen Seele, Trash Fire von den tragischen Interaktionen geschundener Seelen, von der für Bates Jr. untrennbar mit den Kerninstitutionen Kirche, Tradition und Familie verbundenen Raserei; ihren Einfluss auf sämtliche Lebensbereiche analysiert er als perverses, sado-masochistisches Machtverhältnis. Dabei beweist er endgültig, dass nur wenige Regisseure wie er die enge, dialektische Verwandtschaft der Genres Komödie – Horror begriffen und für sich zu nutzen verstanden haben, während er mit pechschwarzer Brillanz den ganz alltäglichen Wahnsinn in infernalische Höhen treibt. Kein Zweiter vermag es, reale Lebenswelten und Genre-Ausflüchte derart gelungen zusammenzuführen, Horror als Metapher und Ausrufezeichen einzusetzen.
Die große Meisterleistung, die in Trash Fire vollbracht wird, besteht jedoch darin, dass neben Ekel, Abscheu und völliger Verwirrung trotz – oder gerade wegen der zurückhaltenden bildsprachlichen Kommentierung eine Bewegung, am Ende gar Erschütterung entsteht. Sie erwächst ganz schleichend induziert aus einer großen, ungewohnten inszenatorischen Ehrlichkeit: Bates filmt seine Dialoge aus der Seitenansicht, die er mit langen, halbnahen Einstellungen aus der Frontalansicht zwischenschneidet. Die Figuren sprechen indirekt-direkt zu uns. Wir sitzen ihnen gegenüber, während Bates seinen Akteuren großen Freiraum einräumt, ihnen Vertrauen entgegenbringt und ihre ganze Schauspielkunst wirken lässt. Eine solche kunstvolle Reduktion ist eine Wonne im Vergleich zu den standardisierten Geisterbahnfahrten und macht uns erst bewusst, wie oberflächlich doch so viele Filme nicht nur im Horrorgenre sind:
Denn bei allen Abgründen, Ekelorgien und abstoßenden Phantasmagorien, bei allen gemetzelten Teenagern, hausbesetzenden Dämonen, Psychopathen und Folterknechten – letztlich gibt es nichts furchtbareres, nichts schrecklicheres, als einen Bruder, der seine kleine Schwester verlassen musste.
Empfehlenswert für Halloween, weil: Ein Film wie ein Weinkrampf. Brennt. Unglaublich.
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