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Das Schweigen der Lämmer

31 Days of Fright 2022 – Tag 11

von Robin Längert

Fünf Oscars eroberte der weltweite Kassenschlager damals Anfang der Neunziger. Und das in den Hauptkategorien: Bester Film, beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch, beste Hauptdarstellerin, bester Hauptdarsteller. Das 14-fache (!) seines Budgets spielte der Horrorthriller in den Kinos auf der ganzen Welt ein. Jonathan Demme erlangte einen grandiosen Karriereschub. Jodie Foster siegte drei Jahre nach ihrem ersten Oscar (für Angeklagt, 1987) wiederholt in derselben Kategorie, was ihren Stand in der obersten Riege der Hollywood-Schauspieler festigte. Und Anthony Hopkins erschuf ein Monster und Horrorikone, die für die Ewigkeit ist. Ich präsentiere: Das Schweigen der Lämmer.

Bereits alleinstehend hat dieser Klassiker jeglichen Ruhm erreicht. Doch auch für das Genre des Psychothrillers setzte er neue Maßstäbe. Aber das sind nur die trocknenden Fakten. Was passiert, wenn man sich Demmes Film genauer ansieht? Oder um ihn in den entsprechenden Fright-Kontext zu setzen: Was ist der eigentliche Horror dieses Filmes? Denn nüchtern betrachtet müsste es sich bei Das Schweigen der Lämmer eigentlich um einen Thriller bzw. Psychothriller handeln. Psychothriller, weil sowohl die starksubjektive Wahrnehmung eine zentrale Rolle spielt wie auch die Psychologisierung der Charaktere.

Dr. Hannibal Lecters Zweck innerhalb der Rahmenhandlung ist die Psychoanalyse eines Killers anhand der Tatortfotos, Polizeiberichte und den daraus resultierenden Mustern und Motivationen des Frauenmörders. Gleichermaßen stellt er eine Bedrohung dar für sein kooperierendes Umfeld, denn auch das bleibt nicht verschont von Lecters psychologischen Einordnungen und Schlussfolgerungen. Und wiederum die subjektive Wahrnehmung eines Psychothrillers, die besonders aus den Mitteln der Täuschung und Suggestion resultiert, ist sowohl narrativ als auch visuell vertreten. Denn es ist die überwältigende Kinematographie von Tak Fujimoto (ebenso verantwortlich für die Bilder von bspw. Badlands von Terrence Malick oder The Sixth Sense von M. Night Shyamalan), die eine Unmittelbarkeit und damit eine tunnelartige Subjektivität erzeugt. Geradezu dem gesamten Film über sind wir Zuschauer stille Voyeure und Verfolger auf Distanz oder unmittelbarer Bestandteil einer Konversation, während uns die Person gegenüber direkt anspricht bzw. direkt in die Kamera sieht. Der Zuschauer wird selbst zu einer ständigen Analyse gezwungen, wie sich sein Gegenüber verhaltet, was seine Schwächen sind, seine Absichten, seine Ziele und Motivationen. Und während wir versuchen, logische Schlüsse zu ziehen, schafft es Lecter diese in ihrer Komplexität zu übertrumpfen.

Doch sind das nicht alles Bestätigungen dafür, dass es sich bei Das Schweigen der Lämmer um keinen Horrorfilm handelt, sondern um einen reinen Psychothriller? Schaut man sich alte Definitionen des Horrorfilmes an, so ist oft vom Übernatürlichen und von der Fantastik die Rede. Das mag zu Zeiten, in denen schwarz-weiße Universal Monsters die Leinwände eroberten, sicherlich gestimmt haben. Doch das hat sich zunehmend geändert. Während sich ein allgemeingültiger Aberglaube reduzierte, mussten reale Bedrohungen herhalten, um cineastische Angst zu erzeugen. Ein klarer Vorreiter des Mainstreams stellt selbstverständlich Alfred Hitchcocks Psycho dar, der jenen Übergang von Annahmen des Übernatürlichen (untote Mutter) zu rationalen Erklärungen in seiner eigenen Story trägt. Das gleiche Prinzip läutete sogar bereits fünf Jahre früher das französische Horrormeisterwerk Die Teuflischen von Henri-Georges Clouzot ein. Wie lassen sich diese Feststellungen also auf Das Schweigen der Lämmer anwenden? Je realer die Bedrohung ist, desto aussichtsloser ist die Grundprämisse. Eine Art allgegenwärtige Bedrohung ist schließlich der Kern eines jenen Horrorfilms, zumindest auf Basis der emotionalen Wirkung, die erzeugt werden möchte. Und eben jene allgegenwärtige Bedrohung wird ab der Sekunde erzeugt, in der wir die Welt durch die Augen von Clarice Starling (Jodie Foster) betrachten: Die weibliche Protagonistin jagt einen Frauenmörder. Sie sucht, arbeitet und lebt in einer dominanten Männerwelt. Anbiedernde Anmerkungen begegnen sie. Starrende Blicke streifen ihren Körper. In einer Filmszene suggeriert sie auch ihrem Chef Jack Crawford (fantastisch gespielt von Scott Glenn) sexualisierte Entscheidung. Doch selbst diese Unterstellung stammt nicht vollständig von ihr, sondern vom männlichen Psychopathen und Psychoanalytiker Hannibal Lecter. Immerhin hat sie Crawford bereits im Voraus gewarnt („Believe me, you don’t want Hannibal Lecter inside your head.”) Doch Lecter ist ebenfalls in unseren eigenen Köpfen. Denn das zweite Close Up einer Männerhand, die die Hand von Starling berührt, scheint jene Unterstellung von Lecter gegenüber Crawford zu bestätigen.

Einen wahrhaftigen Ausbruch des schlummernden, schleichenden Horrors bietet uns der Film jedoch nur in einer einzigen Szene – sowohl handwerklich als auch graphisch. Der Schock, den diese perfide getimte und erschütternd visualisierte Szene erzielt, ist aufgrund ihrer extremen Sparsamkeit innerhalb der Gesamtlaufzeit des Filmes umso intensiver und unberechenbarer. Böse Zungen könnten meinen, dies sei die einzige Horrorszene des Filmes. Oberflächlich betrachtet stimmt das auch vermutlich. Doch der feinfühlige psychologische Horror, der im Laufe des gesamten Filmes mit jeder zielführenden Einstellung und jedem zweckgebundenen Bild einer Szene aufbereitet wird, ist weitaus tiefer und komplexer, als die graphische Gewalt zu scheinen mag. Immerhin ist das Grauen nur scheinbar besiegt, wenn die Lämmer endlich schweigen. Denn Schweigen ist keinesfalls gleichzusetzen mit Friedlichkeit.

Empfehlenswert für Halloween, weil Das Schweigen der Lämmer nicht nur mit dem sagenhaften Score von Howard Shore und einem großartigen Drehbuch von Ted Tally glänzt (basierend auf dem hochintelligenten, atmosphärischen Roman von Thomas Harris), sondern dank Jonathan Demmes Regie und Tak Fujimotos Bildern eine unabwendbare Suggestion und Unmittelbarkeit erzeugt, wie es sonst nur ein Alfred Hitchcock geschafft hat. Ganz klar der beste psychologische Horrorthriller von allen und einer der besten Filme aller Zeiten. Jodie Foster und Anthony Hopkins auf dem Zenit der Schauspielkunst.

Regie: Jonathan Demme
Drehbuch: Ted Tally basierend auf einem Roman von Thomas Harris
Produktion: Edward Saxon, Kenneth Utt, Ron Bozman
Darsteller: Jodie Foster, Anthony Hopkins, Scott Glenn, Ted Levine
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 118 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1991
Budget: 19 Mio. USD
Box Office: 272,7 Mio. USD

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Studiocanal.

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