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Dead Ringers – Die Unzertrennlichen

31 Days of Fright – Tag 31

von Robin Längert

Sind die Kürbisse bereits ausgehüllt und mit Fratzen durchlöchert? Ist die Sonne schon zur frühen Stunde am trüben Horizont versunken? Sind die Straßen versehrt mit gelb-orangenem Laub, das das knochige Gerüst der Bäume zum Vorschein bringt? Ist die Lust auf Horror und Schrecken wieder so unersetzlich groß, wie zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr? Dann ist es wohl an der Zeit, den aktuellen Kalendertag ganz genau zu inspizieren – denn heute ist Halloween! 31 Filme haben wir wieder zu Beginn des Oktobers versprochen. Und wieder wurden 31 Filme des Schreckens beschert. Es macht jedes Jahr aufs Neue einen enormen Spaß ein weiteres vielfältiges, überraschungsvolles und breit-umfassendes Fright-Programm vorzubereiten. Doch die größte Herausforderung bleibt der ultimative Horrorfilm für den 31. Oktober. Natürlichen dienen die Frights seit Anfang an als kollektive Filmempfehlung für den Halloweenabend. Und selbstverständlich soll sich unsere bemühte Programmvielfalt nicht nur innerhalb der einzelnen Jahre abbilden lassen, sondern ebenso in unserer Wahl für den großen Halloweenfilm, der mit 30 vorbereitenden Filmen umso heißersehnter wird. Die diesjährige Wahl ist damit ebenso unkonventionell, wie repräsentativ für unser jährliches Horror-Festival. Hiermit stellen wir also unseren Halloweenfilm 2022 vor: Dead Ringers – Die Unzertrennlichen von David Cronenberg.

Nun, da stellt sich doch als allererstes die grundlegende Frage: Ist Dead Ringers überhaupt ein Horrorfilm? Ich würde sagen: Ja und nein. Es ähnelt ein wenig der Das Schweigen der Lämmer-Diskussion. Und wir fragen uns wieder: Wann ist ein Horrorfilm eigentlich ein Horrorfilm? Primär müsste Dead Ringers eigentlich als Psycho-Drama eingeschätzt werden. Handelt es sich also um ein Psycho-Drama mit Horrorelementen? Wenn ja, was sind die Horrorelemente? Das klingt so, als gäbe es klare, einzelne Versatzstücke, die in isolierter Form unmissverständlich als Horrorelemente erkannt werden müssten und im Laufe des Filmes platziert sind. Ja, das könnte hier in gewisser Form zutreffen. Immerhin gibt es eine Handvoll Szenen, die psychischen Horror oder gar Body Horror beinhalten. Unmittelbar grafisch ist dabei nur eine Szene – und diese ist bemerkenswerterweise eine Traumsequenz. Die Realität bleibt nämlich komplett klinisch gehalten, sowohl formell-visuell als auch inhaltlich. Immerhin handelt das kammerartige Spiel zu großen Teilen in der Gynäkologie-Praxis der beiden Protagonisten Beverly und Elliot Mantle, wo Sterilität ein hygienischer und zwischenmenschlicher Grundsatz ist.

Ich persönlich würde Dead Ringers jedoch nicht als Psycho-Drama mit Horrorelementen bezeichnen. Denn bloße Horrorelemente reichen keinesfalls aus, um eine Auflistung bei Total Film auf Platz 35 der „50 Greatest Horror Movies of All Time“ zu begründen – ebenso wenig eine Listenerscheinung bei Entertainment Weekly auf Platz 20 der 25 „scariest movies of all time“, womit nur zwei von zahlreichen Beispielen genannt wurden. Viel lieber würde ich Cronenbergs Film als psychologisches Horror-Drama bezeichnen. Dabei sollten auf keinen Fall schattenreiche Bilder, Jumpscares oder Figuren des allumfassenden Bösen erwartet werden. Stattdessen findet der Horror zwischen den Zeilen statt. Subtil und zu keiner Sekunde nach Aufmerksamkeit bettelnd. Und trotzdem so unübersehbar, dass es vielleicht nur die Form ist, die den Horror so missverständlich gestaltet für viele Zuschauer. Oder um eine weitere These aufzustellen: Handelt es sich bei Dead Ringers um avantgardistischen Horror?

Für das Kostümdesign der operierenden Ärzte entschied sich Cronenberg ganz klar für einen blutroten Farbton, ein bis heute bekanntes Wiedererkennungsmerkmal des Filmes. In ebenso blutrote Farben ist der Hintergrund der Main Titles getränkt, die mit Bildern von beängstigenden gynäkologischen Folterinstrumenten begleitet werden. Was Cronenberg damit erreicht, ist ein Grauen in einer gänzlich anderen Art. Ein Grauen, das in der verstörenden Fantasie der Zuschauerköpfe schwirrt, ohne es wahrhaftig ausformulieren zu müssen. Immerhin lehnt der Film eine solche Visualisierung am weiblichen Geschlecht ab. Stattdessen ist es nur der Gedanke, ein Frauenarzt könne Fantasien von solchen Instrumenten haben, der erste Schritt des Horrors, den Cronenberg subtil entfaltet. Die eigentliche kernthematische Konfrontation mit dem Publikum ist jedoch die der emotionalen Bindung, metaphorisiert durch die Siamesischen Zwillinge Chang und Eng. Interpretiert werden könnte dies als die Frage des Doppelgängers bzw. des „verdrängten Anteil im Ich“, wie es Siegmund Freud genannt hat. Immerhin versucht Beverly zunehmend eine verstärkte Individualität zu prägen, die aufgrund deren parasitärer Geschwisterlichkeit nicht vollständig ausgelebt werden kann. Beide sind voneinander abhängig. Nicht umsonst wird die Abhängigkeit in Form von Medikamentensucht visualisiert – eines von vielen Beispiel, wie meisterhaft Cronenberg physische Verbildlichungen als Themenverarbeitung nutzt.

Das Spiel der ineinanderfließenden Persönlichkeiten der beiden Zwillingsbrüder, performt als Doppelrolle von Jeremy Irons mit eines der vermutlich besten schauspielerischen Darbietungen der gesamten Filmgeschichte, entfaltet sich als erstickend-kalter Todesalbtraum, der die immense Wirkung des Filmes in ein Monstrum verwandelt, das im Nachklang zunehmend verstörender wird. Howard Shores Score ist dabei ebenso einfühlsam wie terrorisierend. Und Peter Suschitzkys Bilder üben einen Horror aus, wie er ungewöhnlicher und perfider nicht sein könnte. Zwar lässt sich der Film ebenso lediglich als ein „verstörendes Drama“ lesen, doch ist die Perversität und die erdrückende Bilderwelt gleichermaßen wie einem Albtraum entsprungen, die in ihrer Tonlage Nüchternheit und Surrealität gleichermaßen verbindet. Cronenberg nutzt schon immer Fleisch und Körperlichkeit als Projektionsfläche für psychologische, gar tiefenpsychologische Figuren- und Themenerörterungen. Mit Dead Ringers – Die Unzertrennlichen begann zudem ein brandneues Kapitel in seiner Filmographie, das den Horror so sehr verstecken möchte, dass es jemanden nachts schweißgebadet aufwachen lässt, sobald er in all seiner Subtilität den Nerv unserer größten Ängste eingenommen hat.

Empfehlenswert für Halloween, weil David Cronenberg den Body Horror in seiner klinisch-sterilen Form für immer neu definiert hat. Freunde des Partyhorrors, der Jumpscare-Feste und der Bodycount-Spiele sollten fernab jeglicher Erwartungen sein, wenn sie diesen Film unter dem Label „Horrorfilm“ verortet sehen. Eine ganz klare Halloween-Empfehlung für alle, die die niedrigen Herbsttemperaturen in bitterkalten Bildern am eigenen Fleisch erleben möchten. Eine psychologische Arthouse-Horrorperle, die seine Genreelemente geradezu avantgardistisch zerpflückt und ein Horror-Drama serviert, das sich in all seiner Nachwirkung zu einen niemals enden Albtraum entfaltet. Das trifft jedoch leider nicht auf die 31 Days of Fright zu, deren Albträume für dieses Jahr nach 31 aufregenden, großartigen Tagen aufhören müssen. Selbstverständlich geht es nächstes Jahr im Oktober weiter mit den Frights. Doch bis dahin wünschen wir Euch ein schauriges Halloween und bedanken uns für zahlreiche Leserschaft, von denen wir jedes Mal überwältig sind und für die wir äußert dankbar sind. Vielen Dank und Happy Halloween!

Regie: David Cronenberg
Drehbuch: David Cronenberg & Norman Snider basierend auf einem Roman von Bari Wood & Jack Geasland
Produktion: Marc Boyman, David Cronenberg
Darsteller: Jeremy Irons, Jeremy Irons, Geneviève Bujold
Bildgestaltender Kameramann: Peter Suschitzky
Komponist: Howard Shore
Altersfreigabe: ab 16
Laufzeit: 115 Minuten
Veröffentlichungsjahr: 1988
Budget: 13 Mio. USD
Box Office: 14 Mio. USD

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Koch Media.

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