Augen der Angst, im Original Peeping Tom, ist ein düsterer, psychologisch tiefgehender Thriller, der sowohl zu seiner Zeit als auch heute aufgrund seiner Komplexität und Themenvielfalt viel Aufmerksamkeit erregt. Lange bevor Serienmörder und Voyeurismus zur gängigen Kulisse in Filmen wurden, bot Michael Powell mit diesem Werk eine verstörende und zugleich faszinierende Charakterstudie. Augen der Angst ist dabei weit mehr als nur ein Horrorfilm; Hier trifft künstlerische Bildsprache auf psychologische Tiefe, was den Film zu einer ebenso faszinierenden wie bedrückenden Erfahrung macht.
Der Protagonist, Mark Lewis, ist ein zurückhaltender Kameramann, der mit seinem Handwerk tief verwurzelt ist – sowohl beruflich als auch privat. Auf den ersten Blick mag Mark eine ruhige und schüchterne Erscheinung sein, doch in ihm schlummert eine dunkle Obsession: Er tötet Frauen und filmt dabei ihren letzten Moment in einer grausamen, minutiös durchgeplanten Inszenierung. Die Kamera wird hier zum Werkzeug seiner Begierde und gleichzeitig zu einem Spiegel seiner gebrochenen Seele. Die Erzählung überträgt dabei auf erschreckende Weise die psychologischen und emotionalen Misshandlungen, die er als Kind durch seinen eigenen Vater erleiden musste, auf seine Beziehung zur Kamera und dem Akt des Filmens.
Powell inszeniert den Film dabei mit einer meisterhaften Präzision, die euch in eine Welt der Unruhe und des Misstrauens zieht. Besonders beachtenswert ist die Art, wie die Kameraarbeit selbst als Werkzeug zur Darstellung des Voyeurismus und als Reflektion von Marks Obsession eingesetzt wird. Hier wird die Linse zur bedrohlichen Präsenz, die sowohl das Publikum als auch die Figuren im Film nicht nur beobachtet, sondern regelrecht verfolgt. Durch die konsequente Point-of-View-Perspektive, besonders beeindruckend für technische Verhältnisse im Jahr 1960 in seiner knapp 3 Minütigen One-Take Eröffnungsszene, wird die Betrachtung der Geschehnisse durch Marks Augen vermittelt – der Zuschauer wird fast schon gezwungen, die Welt durch die Sicht des Mörders zu sehen, was eine verstörende Nähe zu seinem Charakter und seinen Handlungen erzeugt.
Die psychologische Tiefe des Films zeigt sich vor allem in den vielschichtigen Facetten von Mark Lewis, überragend gespielt von Sissis Traumkaiser Karlheinz Böhm. Marks Obsession mit der Kamera und dem Blick, der mehr enthüllt, als Worte es könnten, entpuppt sich als Symptom einer gestörten Kindheit. Er wurde von seinem Vater als Versuchskaninchen für Experimente in Angst- und Stressbewältigung missbraucht, was ihn zwangsläufig prägte. Die Kamera, die sein Vater einst benutzt hat, wird für ihn zum Werkzeug des Missbrauchs und gleichzeitig zur einzigen Möglichkeit, seine eigene Zerrissenheit auszudrücken. Böhms Darstellung dieser komplexen Figur ist außerordentlich und zeugt von seiner Fähigkeit, subtile Emotionen und innere Konflikte glaubwürdig zu verkörpern. Böhm vermittelt Mark als eine tragische Figur – ein Monster. Aber ein menschliches Monster, das aufgrund der Umstände so wurde und dessen Gewalt von einer tiefen inneren Qual begleitet wird.
Die Themen, die Powell in diesem Film behandelt, waren für die damalige Zeit revolutionär und extrem kontrovers. Die explizite Darstellung von Gewalt und Voyeurismus, gekoppelt mit der Tatsache, dass die Hauptfigur der Antagonist ist, führte dazu, dass Augen der Angst zunächst heftig kritisiert und aus vielen Kinos verbannt wurde. Doch gerade diese mutige Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der menschlichen Psyche und die Hinterfragung des Filmemachens selbst machen ihn zu einem der bedeutendsten und einflussreichsten Filme seines Genres und einen Wegweiser im Horrorkino.
Neben der inhaltlichen Dichte überzeugt der Film auch visuell. Powells Kameraarbeit und seine bildgewaltige Inszenierung tragen erheblich zur bedrohlichen Atmosphäre bei. Der Einsatz von Licht und Schatten ist meisterhaft und unterstreicht die Spannung in jedem Bild. Besonders hervorzuheben ist die Farbgestaltung, die eine psychologische Wirkung entfaltet und den inneren Zustand des Protagonisten reflektiert. Knallige, fast schon grelle Farben stehen im Kontrast zur düsteren Handlung und symbolisieren die Zerrissenheit von Marks Seele, die zwischen seiner Todessehnsucht und der Suche nach menschlicher Nähe hin- und hergerissen ist.
Dennoch, so faszinierend der Film auch ist, bleibt Augen der Angst eine Herausforderung für das Publikum. Die düstere Atmosphäre, die psychologische Tiefe und die unangenehme Nähe zu Marks Perspektive können auf manche Zuschauer bedrückend wirken. Die Faszination des Films liegt dabei nicht in der Handlung per se, sondern in der subtilen und beunruhigenden Charakterstudie. Es gibt keine klaren Antworten, keine moralischen Lösungen, und das Böse wird nicht einfach besiegt. Vielmehr hinterlässt der Film eine Reihe von unbequemen Fragen, die den Zuschauer auch lange nach dem Abspann beschäftigen.
Empfehlenswert für Halloween weil: Augen der Angst mit seiner dunklen Thematik und der aufwühlenden Inszenierung ein beeindruckendes Werk der Filmgeschichte darstellt. Er zeigt auf eindrucksvolle Weise die zerstörerische Macht des Sehens und dokumentiert gleichzeitig die Grenzen des Voyeurismus. Mit einer hervorragenden Darstellung von Karlheinz Böhm und der meisterhaften Regie von Michael Powell ist Augen der Angst ein Meilenstein im Psychothriller-Genre, der sowohl künstlerisch als auch intellektuell anspruchsvoll ist. Und ein Film bei dem sich Hitchcock wohl gewünscht hätte, ihn selbst gedreht zu haben!
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