Shivers

von Robin Längert

Als David Cronenbergs dritter Spielfilm Shivers in die kanadischen Kinos kam, gab es einen großen Aufschrei. Der Regisseur musste sich nicht nur mit zerreißenden Kritiken auseinandersetzen, sondern wurde zudem von seinen antipornographischen Vermietern aus der eigenen Wohnung geschmissen. Dabei fragt man sich doch, ob jene Gegner des 1975 erschienen Body-Horrorfilms überhaupt den Inhalt des Werkes verstanden haben.

In einem modernen Apartmentkomplex kommt es zu einem grausamen Mord, bei dem ein Arzt einer jungen Frau Säure in eine selbst verrichtete Wunde kippt. Während die Frau durch die Chemikalien stirbt, begeht der Arzt Suizid. Was erst als Unerklärbares aussieht, stellt sich bald als notgedrungenes Handeln heraus. Denn im Körper der Frau steckte ein Parasit, der den Menschen auf animalische, sexuelle Triebe reduziert. Das gesamte Gebäude scheint in Gefahr zu sein, denn nicht nur sie war infiziert von Parasiten.

Cronenbergs anfänglichen Filme, und damit meine ich jene aus den Sienziegerjahren, sollten immer mit Vorsicht genossen werden. Immerhin ist der kanadische Filmemacher für seine steril-klinische Handschrift und messerscharfe Beobachtsstärke bekannt. Dem hingegen ist sein Frühwerk eher den Bahnhofskinos entsprungen. Nichtsdestrotz handelt es sich auch bei diesen Werken unbestreibar um Cronenberg-Filme, denn sein Interesse nach dem Unterdrückten und ihrem Ausbruch ist in Shivers gnadenlos präsent.

Ich muss zugeben, dass ich etwas Angst vor der Sichtung von Shivers hatte. Nicht, dass ich Angst hatte verstört zu werden. Ganz im Gegenteil: Nachdem ich letztes Jahr seinen vierten Film Rabid für die Frights unter die Lupe nahm und ziemlich enttäuscht war von der mangelden Qualität, befürchtete ich ähnliches bei diesem Film. Doch nichts dergleichen. Tatsächlich handelt es sich bei Shivers um einen perfiden Horrorfilm mit Endzeit-Flair. Trotz seines lächerlich-niedrigen Budgets schafft Cronenberg eine Handvoll unangenehmer und verstörender Szenen, die noch heute eine schüttelfröstige Wirkung auslösen können. Dabei nutzt er seine praktischen Effekte sehr sparsam und beruft sich abwechselnd ebenso auf das Nicht-Sichtbare. Dieses balancierende Spiel mit explizitier Ekel-Gewalt und Kopfkino gewinnt einen ganz eigenen Rhythmus, dem der Zuschauer gnadenlos ausgesetzt ist. Besonders eine in der Badewanne spielenden Szene in der zweiten Hälfte der Filmes dürfte niemand nach der Sichtung vergessen können.

Dem Handwerk gegenüber steht der Inhalt des Filmes. Dieser scheint erst auf willkürliche Naturwissenschaftsfanatsien zu beruhen, doch entpuppt sich bald als radikale Gesellschaftskritik á la Romero. Nebenbei ähnelt Shiver doch sehr dem drei Jahre später erschienenden Dawn of the Dead. Doch Cronenberg formuliert seine eigene Apokalypse, nicht basierend auf den Konsum der Menschen, sondern auf deren sexuellen Trieb und die damit verbundene Euphorie. Es ist faszinierend, was für Szenen er für jenes Thema nutzt und wie pervers der Mensch dargestellt wird, wenn er von jenen Parasiten beherrscht wird. Oder anders gesagt: Wirken manche Verhaltensmuster im Film erst unter Fremdeinfluss legitim oder sind sie nur das geringfügige Antippen eines Doministeines? In diesem Zusammenhang ist jede damalige Kritik von antipornigraphischen Vertretern beinahe lächerlich. Schließlich übt Cronenberg die ultimative Kritik an die Perversion des Menschen selbst. Jene Kritiker sollten ihn doch dafür lieben, hätten sie den Film verstanden.

Empfehlenswert für Halloween, weil Cronenbergs Body-Horror, gepaart mit seiner Faszination und Furcht vor Perversionen und Trieben, eine bahnbrechende Exploitation-Erfahrung ist. Wer den Vorreiter von Romeros Dawn of the Dead sehen will, sollte sich auf keine Konsumkritik gefasst machen, sondern auf eine vom Sex infinzierte Gesellschaft.

Drehbuch & Regie: David Cronenberg
Produktion: Ivan Reitman
Darsteller: Paul Hampton, Lynn Lowry, Barbara Steele
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Lauflänge: 87 Minuten
Budget: 185.000 $
Box-Office: 1 Mio. $

Alle Bildrechte obliegen dem Verleih ©Splendid.

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