Platz 10-8
10. Utøya, 22 juli (01.09.2018, Erik Poppe)
Darf ein Film so ungeschönt die Ereignisse des 22 Juli 2011 darstellen? Ist es nicht den Opfern gegenüber verhöhnend, die Angst und den Terror in Echtzeit für den Zuschauer greifbar zu machen? Macht Erik Poppe vielleicht sogar den Fehler und nutzt die Schicksale zur Proflierung in seinem Film?
Das sind alles berechtigt gestellte Fragen, die auch dafür sorgen dürften, dass Utøya 22. juli bei seinem Kinostart erneut polarisieren wird. Doch ganz gleich wie man diese Fragen für sich selbst beantwortet bleibt eine Sache im Raum stehen, die sich definitiv nicht abstreiten lässt. Und dieser Fakt ist die Wichtigkeit des Filmes. Utøya 22. Juli ist einer der härtesten und beklemmendsten Filme, die ich je ertragen musste und eine echte Tour de Force für uns Zuschauer. Nicht weil er sonderlich brutal ist, nicht weil er das Grauen zeigt. Weil wir diese 72 Minuten der absoluten Angst ohne Schnitt aus Sicht einer Jugendlichen sehen.
Das Gimmick des One-Take stellt sich dabei nicht als Schwanzvergleich heraus, sondern als wichtiges Mittel, das Geschehen für uns noch greifbarer zu machen. Es ist ein Indikator der uns erschaudern lässt, der uns hin- und herschleudert, uns schockiert und uns diese Angst und diesen Terror nachempfinden lässt. Dafür braucht Erik Poppe keine Gewalttaten zeigen oder den Killer sichtbar machen. Kein einziger Mord ist auf Kamera aufgenommen, lediglich zwei Mal lässt sich das Profil des Schützen für Millisekunden ausfindig machen. Alles was es braucht, sind die verzweifelten Schreie, die tränengetränkten, verängstigten Gesichter und die immer lauter werdenden Schüsse in der Ferne.
72 Minuten werden wir schmerzhaft Zeuge, wenn die jugendliche Unschuld eines Sommercamps durch einen rassistisch motivierten Amokläufer zerstört wird. Ein aufwühlendes Filmerlebnis.
9. The House that Jack Built (29.11.2018, Lars von Trier)
Die Abrechnung eines Künstlers mit seinem eigenen Schaffen. Was an der Erde nicht für Ruhm und Verständnis reicht, muss im Abstieg in die Katabasis fruchten. Lars von Trier war schon immer ein polarisierender Künstler und legt jetzt mit Jack seinen vielleicht letzten Film hin. Es ist ein Rückblick auf Film und Rezeption, verpackt in eine Serienkillergeschichte die zwischen morbider Komik und blanken Sadismus immer wieder den Monolog unter dem Vorwand des Beichtstuhls sucht um dem Gezeigten die nötige Tiefe zu verschaffen. Dabei glänzt Matt Dillon als zwangsneurotischer Jack. Es gibt nichts transzendenteres als die Kunst. Und das ist The House that Jack Built.
8. Brawl in Cell Block 99 (26.10.2018 S. Craig Zahler)
Ein totaler Jaw Dropper. Er nimmt sich Zeit und verzichtet nie auf Effizienz und Abwehrfunktionen. Jede Szene wird zu einem bemerkenswerten Akt – eine Ein-Mann-Show für Vince Vaughns Statur, um Situation zu konsumieren, Lösungen zu erwägen und sie mit stumpfer, schöner Kraft zu „behandeln“. Seine Leistung ist etwas, mit dem man rechnen muss, indem man Atome des Denkens und Handelns, der Entscheidung und der Gewalt monströs spaltet. Das Kreuz an seinem Hinterkopf ist eine physische Linie seiner Spaltung zwischen Prinzip und persönlicher Vergeltung; ein wahres Zeichen Gottes. Zahlers bunte Dornenflecken des Dialogs verstärken die Widersprüche und bringen den Topf zum Kochen, aber er lässt es (zum Glück) so lange kochen, bis jeder Rahmen einer blühenden Katakomben-Tour ähnelt, die von ein paar Hinterwäldlern gestartet wurde. Aber bleibt fern, wenn ihr zimperlich seid. – selbst in der heutigen Zeit von Green Room und Saw geht dieser (speziell nicht bewertete) Schädelbrecher weiter, als man erwarten würden. Es zieht einen langsamen Spaziergang vor dem Gemetzel vor, wenn auch mit extremen Eruptionen.